Return Man: Roman (German Edition)
sagte Wu warnend. » Sie müssen doch nicht jede Leiche umfahren, Doktor. Der Lkw muss noch halten, bis wir am Ziel sind.«
» In Ordnung. Wenn Sie einen Weg ohne tausend tote Bremsschwellen sehen, sagen Sie mir Bescheid.«
Ka-wumm!
Der Lkw raste zwischen den zwei nächsten Gebäuden hindurch, monströse Ziegelstein-Quader mit dem morbiden Charme stillgelegter Fabriken. Vocational Industries stand auf einem weißen Schild. In der Durchfahrt lag ein umgekippter Container und etwas, das wie ein Brustkorb aussah, der an einem Rückgrat hing.
Marco bremste nicht, sondern fuhr um den Container herum, und nach wenigen Sekunden führte der Betriebsweg wieder ins Freie.
Die Zellenblöcke lagen direkt vor ihnen.
Der Lkw hielt auf das offene Ende des Hufeisens zu, den Gefängnishof. Wu riss die geschwollenen Augen auf. Unmöglich, sagte er sich. Auf dem Hof schien es von Toten nur so zu wimmeln– er war bis zum Bersten mit krakeelenden, hungrigen, verrotteten Körpern angefüllt. Eine kompakte Masse, die gegen den Maschendrahtzaun drückte. Nacheinander drängten die Leichen sich durch die schulterbreite Lücke im Zaun, während die anderen Gefangenen tobten und so heftig am Metallzaun rüttelte, dass Wu das Geräusch sogar trotz des dröhnenden Lkw-Motors hörte. Hinter den Toten, am anderen Ende des Hofs, standen die Gefängnistüren weit auf– ein dunkler Schlund öffnete sich, wo das amerikanische Einsatzkommando sich einen Weg ins Innere gesprengt hatte.
Es sind einfach zu viele Leichen, sagte er sich. Unmöglich, da durchzukommen.
Hundert Meter vor ihnen, wo die Straße zum nördlichen Abschnitt des Geländes abbog, erschien plötzlich der schwarze Umriss von Monsterschädels zweisitzigem Quad, gefolgt von dem » Eber«, der noch übrig war.
» Sehen Sie?«, sagte Marco. » Wir haben die Abkürzung genommen.«
» Beeilung«, sagte Wu. » Sie sind ziemlich schnell.«
» Keine Sorge, wir schaffen das schon.«
» Wie denn? Über den Hof zu fahren wäre reiner Selbstmord. Wir müssen einen anderen Weg finden.«
Er hatte den Satz kaum vollendet, als das MTVR auch schon beschleunigte. Die Nadel des Tachometers kletterte auf über fünfzig Stundenkilometer, über fünfundsechzig, über achtzig, und Wus Herz raste wild. Er warf einen Blick auf den Amerikaner– die unterernährte Gestalt hatte sich übers Lenkrad gebeugt, die Stirn zerfurcht und blutig, die Haut dick mit Schmutz, Blut und Schweiß verkleistert–, und in diesem Moment wurde Wu klar, dass Henry Marco der kaltblütigste Mensch war, dem er bisher begegnet war.
» Was machen Sie da?«, fragte Wu leise, aber bestimmt.
Marco ignorierte ihn.
» Doktor.«
» Ich breche ins Gefängnis sein. Was denn sonst?«
Der Hof raste mit irrwitziger Geschwindigkeit auf sie zu…
…und es fielen wieder Schüsse, als Monsterschädel und der andere Reiter aus nördlicher Richtung angriffen und Marco das Gaspedal bis zum Boden durchdrückte und die toten Häftlinge hinterm Maschendrahtzaun den Lkw mit gefletschten Zähnen einluden, doch bitte näher zu kommen, und Wu dachte Nein! …
…und dann setzte sein Gehirn aus, als der Lkw mit fast hundert Kilometern pro Stunde den Zaun durchbrach.
Todesurteile
11 . 1
Marco jaulte beim Aufprall auf, und Katastrophenszenarien spielten sich vor seinem geistigen Auge ab…
…er sah, wie der Lkw sich überschlug, als metallischer grüner Schemen auf dem Asphalt zerbrach und Leichen sein rosiges Fleisch aus dem Wrack schälten…
…doch Gott sei Dank trat das nicht ein. Stattdessen wurde der Zaun zerrissen, und der sieben Tonnen schwere Lkw prallte gegen die Leichenmenge, die sich hinter dem Zaun zusammengerottet hatte. Der Schrei blieb Marco in der Kehle stecken, als der Maschendrahtzaun sich um den Kühlergrill des Lkw wickelte. Das MTVR riss den Zaun auf einer Länge von fast zehn Metern von den Pfosten ab, als wäre er aus Papier. Der Gefängnishof hallte von metallischem Zischen und einem Geräusch, als wären hundert Luftballons geplatzt, wider– das waren Fäulnisgase und unter Druck stehende Luft, die aus den Lungen der toten Häftlinge entwich, als der Lkw sie niederwalzte.
Mit dem Zaun vor dem Kühler walzte der Lkw wie ein bizarrer Bulldozer über den Hof und pflügte Leichen um. Diejenigen, die es zuerst erwischte, klammerten sich am Zaun fest und krallten ihre verkrüppelten Finger in das Drahtgeflecht. Einen Moment lang trafen Marcos Blicke sich mit denen eines verwildert wirkenden Mannes; eine
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