Return Man: Roman (German Edition)
drehten sich um ihn. In einer geschmeidigen Bewegung packte der Soldat ihn unter den Armen und drehte ihn herum. Kräftige Arme schlossen sich um Wus Hals.
Wu versuchte sich zu wehren, doch der Würgegriff war zu stark, und er konnte auch die Arme nicht bewegen, um die Mandarinenten-Haken einzusetzen. Der Mann war mindestens fünfzig Kilo schwerer als er. Er schüttelte Wu wie eine Puppe durch und drehte ihn um, sodass sein Blick auf die letzten Leichen fiel– drei Männer, deren aufgerissene Lippen mit blutigem Schaum und Galle überzogen waren. Sie waren nur noch ein paar Meter entfernt und kamen immer näher.
» Jetzt bist du dran, Schlitzauge«, sagte der Soldat knurrend. » Mahlzeit.«
4 . 5
Panische Angst stieg in Wus zugeschnürter Brust auf. Er unterdrückte sie schnell wieder– er hatte in seinem Leben dem Tod schon oft ins Gesicht gesehen–, doch dann loderte ein anderes Feuer in ihm auf. Er verspürte ein Brennen in der Kehle, und die Ohren glühten. Schmach. Er hatte versagt, war von diesem Amerikaner besiegt worden. Eine großartige Gelegenheit für sein Heimatland… die bald vertan wäre.
Er roch den modrigen Atem des Mannes, den Gestank nach ungewaschener Haut und kaltem Schweiß. Die Leichen streckten die Hand nach ihm aus– sie waren jetzt so nah, dass er auch ihre verwesenden Kadaver riechen konnte. Er richtete den Blick über ihre Köpfe hinweg. Hinter ihnen sah er die Felswand, von wo aus er den Angriff auf das Lager geführt hatte.
Eine Leiche mit blutverkrustetem Oberlippenbart packte Wus Weste und riss den Mund auf.
» So, du Scheißkerl«, sagte der große Soldat und grunzte. Dann schob er Wu noch näher an die gefletschten Zähne heran.
Nein. Wu widersetzte sich in Gedanken und versuchte, diese Schmach abzuwehren– eine sinnlose Emotion, die nur sein Denkvermögen blockierte. China ist heute die Nummer eins. Nicht Amerika. Er bemühte sich, rational zu denken.
Amerika … ist … tot.
Seine Augen weiteten sich. Die Felswand schien weit weg, vielleicht zwanzig Meter entfernt. Also musste er sich in der Nähe der Abbruchkante befinden, über die die alte Frau gestürzt war.
Tote Hände strichen ihm übers Haar und übers Gesicht…
» Zhongguo!«, schrie er– der stolze Ruf, mit dem er sich als junger Soldat zu seinem Land bekannt hatte.
China!
Er schwang beide Beine nach oben, drückte die Stiefel auf die Brust der Leiche vor sich, mobilisierte die letzten Kräfte und stieß sich ab. Die Leiche taumelte zurück, und gemäß dem physikalischen Prinzip von Aktion und Reaktion verloren Wu und der schwarze Mann das Gleichgewicht. Sie stolperten einen Schritt nach hinten, noch einen Schritt, und dann ertönten Geräusche von rieselndem Schmutz und kullernden Steinen. Die Perspektive veränderte sich, und Wu schaute in den blauen Himmel. Die gnadenlose Sonne hing wie ein Geier über ihm, und er spürte den freien Fall. Sein Magen schien sich umzustülpen. Der Soldat schrie, und die Steilwand raste an ihnen vorbei und…
KNACK !
Ein höllischer Schmerz! Und das unverkennbare Geräusch brechender Knochen. Wu atmete in einem kräftigen Schwall aus; unter ihm stieß der Soldat einen Schrei aus. Sie waren rückwärts über die Abbruchkante gestürzt, sodass der Amerikaner zuerst auf dem steinigen Boden aufschlug. Sein Körper diente Wu als Puffer und absorbierte die größte Wucht des Aufpralls. Der Mann hatte sich sämtliche Rippen im Körper gebrochen. Sein Würgegriff löste sich.
Wu rollte von ihm herunter und überprüfte, ob er irgendwelche Verletzungen davongetragen hatte.
Quetschungen. Sonst nichts.
Doch der Soldat keuchte qualvoll und zuckte mit den Beinen; sein massiger Körper vollführte einen makabren Tanz auf dem Erdboden. Sein Rückgrat war gebrochen. Bei jedem mühsamen Atemzug quoll ihm Blut aus dem Mund.
Wu stand auf und schaute zum Plateau hoch. Verweste Gesichter lugten über den Rand und beäugten ihn verdrießlich. Dann wandten sie sich wieder ab. Sie hatten oben genug frisches Fleisch.
Wu stand mit stolzgeschwellter Brust da. Er hatte die Amerikaner besiegt. Er hatte sein Selbstvertrauen wiedererlangt und wurde von dem gleichen Hochgefühl erfüllt, das er schon mit achtzehn verspürt hatte, als er in Shenyang zum ersten Mal seine gestärkte Uniform anlegte– motiviert vom Bewusstsein, dass er nun ein Teil von etwas Großartigem und Einzigartigem war.
China würde die Welt beherrschen. Und er, Kheng Wu, würde seinen Teil dazu beitragen.
Ein leises
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