Return Man: Roman (German Edition)
heruntergefallen wäre– Idiot!, schalt er sich. Aber er erlangte das Gleichgewicht zurück und hatte wenig später den Pfad zu seinem geplanten Angriffspunkt wiedergefunden. Er lief den Hang hinauf.
Und diesmal folgten die Toten ihm. Auf allen vieren kletterten sie über den felsigen Boden, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie nun Mensch oder Tier seien. Wus Blick traf sich mit dem einer amerikanischen Leiche. Ihr war die Oberlippe abgerissen worden, sodass die Wurzeln der verfaulten oberen Zähne freilagen. Sie kroch auf ihn zu, und die über die roten Steine gleitenden Finger hinterließen schwarze, blutige Schleifspuren.
Wu lief immer weiter bergauf. Seine Oberschenkel glichen überhitzten Kolben und drohten jeden Moment den Dienst zu versagen. Er unterdrückte den Drang aufzuschreien; stattdessen biss er die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und versuchte, den Schmerz zu ignorieren, bis er nur noch den Himmel über sich sah– keine heißen Schluchten mehr, keine Steilhänge mehr. Auf einer Woge des Stolzes bewältigte er auch noch die letzten zehn Schritte bis zum Gipfel.
Den Berg hatte er also bezwungen. Auf ins nächste Gefecht. Er taumelte über den Gipfel hinweg und blieb auf der anderen Seite ein paar Schritte unterhalb stehen. Dabei achtete er darauf, keine Steine loszutreten, die vielleicht den Hang hinuntergerollt wären und ihn verraten hätten. Die Amerikaner befanden sich etwa fünfzig Meter unter ihm. Er musste einfach nur senkrecht absteigen.
Er hatte es perfekt kalkuliert.
Wu beobachtete das Lager. Er hatte die Amerikaner seit Tagen verfolgt, doch so nah war er ihnen bisher noch nicht gekommen. Zwei kleine Zelte schmiegten sich an die westliche Felswand, und daneben standen vier sandfarbene Rucksäcke. Die Soldaten bildeten einen Kreis in der Mitte des Plateaus und hockten auf Felsbrocken, die sie von den Rändern herübergerollt hatten. In ihren braunen Unterhemden und den Hosen mit Wüstentarnmuster sahen die Männer fast selbst wie Felsbrocken aus– schmutzig, massiv, mit der Erde verwachsen. Sie hatten sich über einen Rucksack gebeugt, der als improvisierter Tisch in ihrer Mitte stand. Spielkarten waren darauf ausgebreitet.
Die Waffen der Amerikaner lagen griffbereit zu ihren Füßen auf den Felsen; doch diese kurze Zeitspanne, die sie zum Aufnehmen der Waffen benötigten, würde Wu schon genügen. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Er schien alle Trümpfe in der Hand zu haben. Sogar sein bisheriger Widersacher, die Sonne, hatte sich nun auf seine Seite geschlagen– sie warf seinen Schatten nach hinten auf die Steilwand, weg vom Lager, und verhinderte so eine Entdeckung in letzter Sekunde.
Einer der weißen Soldaten deckte seine Karten auf. » Heult doch, ihr Muschis.«
» Unglaublich. Das gibt’s ja nicht. Jetzt weiß ich, dass du wirklich bescheißt.«
Der weiße Mann– Wu erinnerte sich, dass er Nelson hieß– zeigte mit dem Finger auf sein Gegenüber. » Guerrero, Mann, ich versohle dir den Arsch, wenn du nicht mit dem Scheiß aufhörst.«
Guerrero schob Nelsons Hand weg, und die Soldaten brachen in brüllendes Gelächter aus.
Wu hörte das Knirschen von trockenem Erdreich hinter sich. Die Leichen hatten nun auch den Flatiron -Gipfel erreicht und wälzten sich wie eine Lawine von hinten auf ihn zu.
Seine Hände flogen zum Gürtel, und er ging blitzschnell in Kampfstellung. Die halbmondförmigen Klingen der Mandarinenten-Haken glitzerten in der Sonne. Wie Raubtiere, die sich blutgierig die Lippen leckten.
Wu holte tief Luft, und dann schwang er sich den Abhang hinab, den Amerikanern entgegen.
Es wurde Zeit, dass auch er seine Karten aufdeckte.
Heult doch, ihr Muschis.
4 . 4
Es brach ein Chaos aus– genauso, wie Wu gehofft hatte. Als er sich– fast im freien Fall– dem Lager bis auf drei Meter genähert hatte, stieß er sich von der Steilwand ab und sah die bevorstehenden Ereignisse schon vor seinem geistigen Auge: Wie die Langnasen mit schreckgeweiteten Kulleraugen auf die Kreatur starrten, die da vom Himmel fiel und sie mit gebogenen, glitzernden Klauen attackierte. Er prallte auf dem harten Felsboden auf und katapultierte sich mit einem Satz in den Kreis der Soldaten. Schreie wie Verdammt! und Scheiße! ertönten um ihn herum und hallten von den Felswänden wider. Mit dem linken Bein trat er gegen ein schwarzes Sturmgewehr vom Typ HK 416, das herrenlos auf dem Boden lag, und als die Waffe scheppernd wegflog, sprang Wu wieder auf die Füße
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