Return Man: Roman (German Edition)
auf die Bremse, und da war ihr Honda, der sich um einen gesplitterten Telefonmast gewickelt hatte; sein Blick fiel auf ihr albernes YIN YANG -Nummernschild, als er über die Straße sprintete und Leichen auswich – nein nein nein, sagte er sich – blutverschmierte braune Fingerabdrücke an den offenen Türen, der Motor war noch heiß und zischte – nein nein nein verdammt verdammt verdammt – der Fahrersitz war mit Eingeweiden bedeckt, Darmschlingen, einer abgebissenen halben Leber, die Fußmatten mit Blut getränkt – ihre roten Fußabdrücke vor dem Auto verloren sich in der Wüste, und dann hatte er sie nie mehr gesehen …
» Schluss damit!«, sagte er und schlug mit der Faust auf die Hupe. Der laute Hupton verscheuchte den Tagtraum und zerstreute die unerfreulichen Gedanken. » Das reicht jetzt«, sagte er.
Und im nächsten Moment bereute er es schon, so unbeherrscht auf die Hupe gedrückt zu haben. Du verrätst dich noch selbst, du Arschloch, dachte er und zwang sich, die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße zu richten. Er hielt Ausschau nach dem, was er als » Frühaufsteher« bezeichnete. Leichen schliefen nicht– doch nach einer kühlen Nacht schien das Sonnenlicht bei manchen die Aktivität zu verstärken. Wahrscheinlich auch ein Nachhall ihres Lebens, der individuellen Persönlichkeit und Gewohnheit geschuldet. Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung stieß man mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf weißhaarige Leichen, die auf Gehwegen entlangtorkelten: Die Alten machten einen frühmorgendlichen Spaziergang. Man sah auch tote Kinder, die wahrscheinlich vom Impuls getrieben wurden, einen Schulbus zu erwischen oder Zeitungen auszutragen. Einmal musste er fluchtartig einer Leiche in einer kurzen Jogginghose ausweichen; die Wadenmuskulatur des rechten Beins war vollständig abgekaut, sodass nur noch der Knochen wie eine graue Stange aus einem schmutzverkrusteten Turnschuh ragte.
Die Frühaufsteher stellten aber keine echte Bedrohung dar, jedenfalls nicht für einen Autofahrer. Dafür waren es zu wenige. Doch wenn er eine Leiche über den Haufen fuhr, würde das vielleicht den Jeep beschädigen und ein Bauteil im Motorraum abreißen. Und das Letzte, was Marco brauchte, war ein Motorschaden.
Sein Plan sah vor, nach Maricopa zum Bahnhof zu fahren und dann, eskortiert vom Lkw der AAE , dem Schienenstrang die ganze Strecke bis nach Los Angeles zu folgen.
Das würde eine ungemütliche Fahrt werden, stellte aber immer noch die sicherste Art und Weise dar, lange Strecken zu bewältigen.
Er hatte sich diesen Trick vor zwei Jahren ausgedacht. Auf den Highways in den Evakuierten Staaten geriet man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwann in einen » Geisterstau«– Tausende leerer Pkw und Lkw, die während der Evakuierung verlassen worden waren, blockierten die Fahrbahn. Zu Tode erschrockene Fahrer hatten ihre Fahrzeuge verlassen und die Flucht ergriffen, und die Toten waren in Rudeln über die Auffahrt zum Highway ausgeschwärmt und hatten ihnen die Fluchtwege abgeschnitten. Ganze Familien waren so eine leichte Beute geworden.
Das halbe Straßennetz in Amerika wurde inzwischen von kilometerlangen Kolonnen aus rostigen Autowracks und in der Sonne gebleichten Knochen blockiert– da gab es kein Durchkommen mehr. Außerdem wimmelte es auf den Fernstraßen von hungrigen Toten. Einmal hatte er versucht, sich zu Fuß durchzuschlagen. Das war ein großer Fehler gewesen. Zum Glück hatte er es bis zu einer Überführung geschafft und war dann auf der Flucht vor hundert Leichen in einen Fluss gesprungen.
Also waren Bahngleise die Lösung. Dort herrschte kein Verkehr, und man konnte sich auch nicht verirren. Nur eine direkte Verbindung von Punkt A nach Punkt B, durch jedes Gelände. Große Städte, dichte Wälder, hohe Berge– was auch immer. Marco hatte die Tagesetappe auf der Karte abgesteckt, bevor er das Haus verließ. Ab Maricopa den Schienen folgen und ungefähr sechshundertfünfzig Kilometer nach Westen, über die Staatsgrenze von Arizona, und dann weiter Richtung Los Angeles. Er würde dann in ausreichendem Abstand vor der Stadt wieder vom Schienenstrang abweichen, bevor das Gebiet zu dicht besiedelt und damit zu gefährlich wurde.
Der Bahnhof von Maricopa funkelte in der Sonne und kam immer näher. Dort gab es sogar eine Touristenattraktion– einen Panoramawaggon der klassischen kalifornischen Zephyr-Linie, den man abgekoppelt und auf einem Nebengleis der nach Osten verlaufenden
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