Return Man: Roman (German Edition)
Bahnstrecke abgestellt hatte. Da stand er nun als ein stählernes Depot. Er hatte den Bahnhof schon einmal vor der Auferstehung besucht– nicht als Passagier, sondern auf einer selbst organisierten Besichtigungsreise, die er und Danielle vor fünf Jahren unternommen hatten. Gleich, nachdem sie nach Arizona gezogen waren.
An diesen ersten Wochenenden hatten sie Reiseführer gekauft, die Themen- und Panoramarouten erkundet und sich mit den Highlights ihres neuen Heimatstaats vertraut gemacht. Und an diesem besonderen Morgen hatten sie das Gila River Heritage Center besucht, wo Folklore und Mystizismus der amerikanischen Ureinwohner kultiviert wurden. Danielle war davon natürlich begeistert gewesen, während Marco es als eine kitschige Darbietung von üppigem Federschmuck und bunten Perlen abqualifizierte. Dann waren sie der Reiseroute weiter nach Maricopa bis zur berühmten Bahnstation Silver Horizon gefolgt.
Interessant, hatte Danielle kommentiert; eine andere Würdigung war ihr nicht eingefallen. Es war im Grunde auch nichts Besonderes– nur eine alte Metallhülle in der Wüste. Sie waren, ohne anzuhalten, an dem Bahnhof vorbeigefahren und hatten ein paar Straßenzüge weiter in einer schmuddeligen Pizzabude zu Mittag gegessen.
Marco runzelte die Stirn. Die Pizzabude.
Er war nicht mehr weit davon entfernt, höchstens noch zwei Kreuzungen. Ob es Sinn hatte, dort einmal nachzusehen? Aber sie dort zu finden, wäre schon ein sehr großer Zufall– es war nur ein Ort, an dem sie einmal gegessen hatten. Sie hatte sonst keinen Bezug dazu, und er vermochte sich auch nicht daran zu erinnern, dass sie nur ein einziges Mal über diese Pizzeria gesprochen hätten. Andererseits– man wusste nie, auf welche Gedanken die Toten so kamen.
Außerdem wusste er kaum noch, wo er sonst hätte suchen sollen. Vor einem Jahr hatte er sogar dem Gila River Heritage Center noch einmal einen Besuch abgestattet. Es war aber nichts da gewesen außer ein paar Dutzend Leichen von Maricopa-Indianern, die in feuchten Lehmbauten hausten und herausgekrochen waren, um ihn zu fressen.
Von Danielle keine Spur.
Er bog nach links auf den kleinen Parkplatz des Bahnhofs ab, vis-à-vis einem heruntergekommenen Autoteilegeschäft und einem baufälligen mexikanischen Restaurant namens Papi. Es lag ein Gestank nach Exkrementen in der stickigen Luft, und er verspürte einen Brechreiz. Durch die mit Insekten übersäte Frontscheibe fiel sein Blick auf das graue Depot. Es wirkte noch einsamer, als er es in Erinnerung hatte– ein einzelner Waggon, der von seinem Zug geschieden worden war. Sein Blick folgte dem weiteren Straßenverlauf. Irgendwo in dieser Richtung war die Pizzabude.
Er verspürte dieses schwache Ziehen in der Brust, das immer die schwachen Hoffnungsschimmer begleitete und ihn fast unwiderstehlich vorwärtstrieb. Er seufzte. Wenn er dieses Restaurant nicht überprüfte, würde er sich den ganzen nächsten Monat mit der Vorstellung quälen, dass sie dort gewesen wäre, die ganze Zeit auf einem dieser billigen roten Vinylstühle gesessen und auf eine lausige vegetarische Pizza gewartet hätte, die nie serviert worden wäre.
Bei diesem Gedanken umwölkten seine Augen sich.
Und das gab den Ausschlag. Er musste nachschauen.
Er schluckte unbehaglich und wendete den Jeep auf dem Parkplatz. Die Reifen knirschten auf dem Kiesbett. Er würde zum Pizzaschuppen rüberlaufen und wieder zurück sein, bevor die AAE auftauchte.
Er bog wieder auf die Route 347 ein und fuhr einen Straßenzug weiter– vorbei an dunklen Schaufensterfronten und Geschäften mit staubigen Fenstern: ein Installateur-Fachgeschäft, ein Lebensmittelgeschäft, ein Waschsalon. Er versuchte, einen Blick in jedes dieser Geschäfte zu werfen. Er spürte förmlich, wie sein Bewusstsein dem Jeep vorauseilte, und sah sich schon den Pizzaschuppen betreten.
Die Schritte hallen laut im Eingangsbereich. Sprödes Linoleum knistert unter seinen Stiefeln. Er betritt das eigentliche Restaurant, und da ist sie. Danielle an einem runden Tisch. Ihr Gesicht liegt im Schatten, aber er erkennt sie sofort. Ihr Haar ist noch immer kurz, hat noch immer diesen kastanienbraunen Farbton, ist aber steif wie Stroh. Er sagt leise ihren Namen. Sie dreht sich zu ihm um, ein trockenes Geräusch entringt sich ihrer Kehle …
Plötzlich ein lautes, durchdringendes Kreischen. Er schreckte auf.
Er schaute gerade noch rechtzeitig in den Rückspiegel, um mitzubekommen, wie ein grüner Lkw hinter dem Jeep über die
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