Return Man: Roman (German Edition)
schade um die Kugeln gewesen.
Er sollte lieber Wu suchen und verdammt noch mal zum Jeep zurückkehren, ohne dass sie ihn bemerkten.
Doch zuerst wollte er sich ausruhen. Er ließ sich gegen den Tisch fallen; sein Körper fühlte sich fünfzig Pfund zu schwer an.
Alle Anstrengungen dieses Tages machten sich plötzlich bemerkbar. Er war ziemlich erledigt.
Er gönnte sich eine kurze Auszeit und raffte sich dann wieder auf. In Ordnung, Lunge. An die Arbeit. Er wollte gerade zur Treppe gehen und noch eine Dose mit Obstkonserven mitnehmen, als ihm plötzlich von der Seite ein massiver Stoß versetzt wurde, bei dem er fast mit dem Gesicht in die Rattenscheiße gefallen wäre.
Er ließ sich reflexartig auf ein Knie fallen und hielt sich an der Tischkante fest.
Sein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt. Die Konservendosen klapperten auf den Regalen.
Zuerst glaubte er, er sei verrückt geworden. Das musste doch Einbildung sein.
Doch ein paar Sekunden später wusste er, dass jeder Irrtum ausgeschlossen war.
Der Zug fuhr.
6 . 7
Im Durchgang hinter dem Führerstand der Lokomotive legte Wu den Messerschalter um– die große Metallzunge, die die Batterie mit der Starterschaltung des Zugs verband.
Ob die Batterie überhaupt noch Saft hatte? Ob sie nach dieser langen Zeit nicht schon so trocken war wie die Wüste…?
Ein leises Knistern überzeugte ihn vom Gegenteil. Seine Finger huschten über die Schutzschalter und legten einen nach dem anderen um. Er hatte schon seit fast zwanzig Jahren keinen Zug mehr gefahren, aber die Handgriffe liefen noch automatisch und sicher ab. Die Brust schwoll ihm vor Stolz, und er fühlte sich wieder zurückversetzt in die Zeit, wo er als junger Soldat in der Volksbefreiungsarmee gedient hatte– als er den Katastrophenhilfe-Zug durch strömenden Regen und über überschwemmte Felder gefahren hatte. Ein Volksheld, der sein Leben riskiert hatte, um Frauen und Kinder vor den Fluten des Jangtseflusses in Sicherheit zu bringen. Und dann blinzelte er verwundert. Er vermisste dieses Leben. Damals, bevor er für das MSS ausgewählt worden war. Nun rettete er kein Leben mehr. Nun tötete er für China.
Er runzelte die Stirn und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
Er betätigte den mit Kraftstoffpumpe markierten Schalter und lief zum Maschinenraum, um das Dieselsystem zu aktivieren. Nach der Entlüftung der Leitungen betätigte er den Hebel, und der Startermotor lief mit einem Knurren an. Hastig und ohne abzuwarten, bis Druck im System aufgebaut wurde, löste er die Handbremse und zog heftig am Hebel, bis er spürte, dass der Zug mit einem Ruck losrollte. Dann sprintete er zum Führerstand– wobei er über die zwei Leichen im Korridor hinwegsprang, zwei Mechaniker, die zu einem einzigen zerfallenden Klumpen verschmolzen waren– und löste am Führertisch die Doppelbremsen. Alles klar. Nun zog er den Fahrschalter auf sich zu und arretierte ihn in der ersten Raststellung.
Der Zug rumpelte unter seinen Stiefeln.
Hinter ihm aktivierte der Hauptgenerator die Antriebsmotoren, und die Lokomotive setzte sich mit dem Gewicht der angehängten Waggons in Bewegung und nahm langsam Fahrt auf. Vier oder fünf Leichen blockierten die Schienen vor ihm und knurrten ihn durch das Fenster an; auf ihren Gesichtern zeichnete sich nicht einmal Erstaunen ab, als sie unter die Räder des Zugs gerieten und wie in einem Fleischwolf zermalmt wurden.
Er zog den Fahrschalter in die nächste Raststellung.
Noch schlich der Zug nur durch die Wüste. Doch er wurde immer schneller.
Wu nickte zufrieden.
Noch vor zehn Minuten hatte er im Speisewagen unter der Leiche des Schaffners gelegen und einen Kampf auf Leben und Tod geführt. Marco war mit der Frau auf dem Rücken die Treppe zur Küche hinuntergefallen. Er wird sterben, hatte Wu sich gesagt. Die Worte platzten in sein Bewusstsein und verschwanden gleich wieder.
Er konnte nichts tun, um Marco zu helfen. Er musste um sein eigenes Überleben kämpfen.
Also rammte er dem Schaffner das Knie in die Genitalien, doch die Leiche ließ sich dadurch überhaupt nicht beeindrucken. Sie wurde nur noch wütender, drückte ihn auf den Boden des Speisewagens und versuchte, ihn knurrend in Stücke zu reißen. Die vertrockneten Körper der massakrierten Passagiere lagen um ihn herum; alte Knochen splitterten und brachen unter seinem Rücken und stachen ihn durch das Hemd hindurch.
Wu wurde sich bewusst, dass der Nahkampf mit den Toten ein schwieriges Unterfangen war; Schläge,
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