Return Man: Roman (German Edition)
wusste, wie ihm geschah.
Normalerweise machte Marco ein paar Aufnahmen, aber er hatte seine Digitalkamera in der Basis zurückgelassen. Joan Roark hatte ausdrücklich auf Fotos verzichtet, was Marco nur recht war; der Ring war schließlich der eigentliche Nachweis. Marco zog Roarks linken Arm aus dem Wasser– die Haut war zäh wie Leder– und packte das Handgelenk. Der goldene Ring funkelte wieder nach dem reinigenden Bad im See.
Und plötzlich sträubten sich Marco die Nackenhaare.
Er kannte dieses Gefühl. Die unterbewusste Wahrnehmung eines Hintergrundgeräusches. Manchmal bezeichnete er es scherzhaft als » Zombie-Sinn«. Er wirbelte herum und schaute aufs nahe Ufer.
Und da waren sie. Zwanzig Leichen, vielleicht auch mehr.
Das Blut gefror ihm in den Adern, als würde plötzlich kaltes Seewasser durch den Kreislauf gepumpt.
Da hatte sich eine desolate Truppe im Sand versammelt. Männer und Frauen mit grauer Haut und leeren Augen, mit zerrissenen, löchrigen Kleidern behangen wie in einem düsteren Porträt aus der Großen Depression. Ihr Haar war fettig und verfilzt, mit Blut und weiß Gott noch was verkrustet.
Da standen sie nun und sahen ihn mit baumelnden Armen und schwankenden Leibern an– diesen gespenstischen langsamen Tanz vollführten sie manchmal, während sie darauf warteten, dass ein anderer Instinkt einsetzte. Er selbst stand reglos da, um sie nicht zum Angriff zu reizen. Doch er wusste, dass das unvermeidlich war. Sie hatten Hunger. Ihre toten Augen richteten sich mit emotionslosem Interesse auf ihn, und sie reckten die Hälse. Ruhig zog er die Kimber.
Sie machen es spannend, sagte er sich. Gleich geht der Tanz los.
Das konnte aber unmöglich die Horde sein, die er früher gehört hatte– die aus dem Osten. Ausgeschlossen, dass sie so schnell gewesen wären. Sein Gesicht rötete sich vor Wut auf sich selbst; er war so auf die eine Bedrohung fixiert gewesen, dass er ein Dutzend anderer Gefahren ignoriert hatte. Wahrscheinlich hatten diese Dinger in der Nähe gelauert, im Wald hinter den Ferienhäusern im Hinterhalt gelegen und waren erst aus der Deckung gekommen, als sie ihn ins Wasser hatten gehen sehen.
Sie würden jetzt jede Sekunde angreifen. Er ignorierte die innere Stimme, die flüsterte: Du bist im Arsch. Roarks Körper schlug gegen seine Hüfte. Er verschaffte sich einen festen Stand und richtete die Kimber auf eine Leiche am Ufer– einen schmächtigen Mann ohne Hemd, der einen Bolotie um den Hals trug. Marco zielte sorgfältig. Das war der einzige Schuss, bei dem er sich Zeit lassen konnte.
Also mach was draus.
Die Szenerie vor ihm war lautlos; er hörte, wie eine Bremse summend an ihm vorbeiflog.
Die Pistole knallte.
Und die Hölle brach los.
1 . 5
Der Schädel der hageren Leiche wurde zurückgeschleudert, als die Kugel einschlug, und feuchte weiße Gehirnmasse ergoss sich über ihren Rücken; der tote Mann verdrehte die Augen und plumpste aufs Hinterteil, bevor er umkippte. Die anderen Leichen stießen ein Gebrüll aus– ein wütendes Grollen wie aus einer Kehle, wie ein Schlachtruf, und Marco wollte fast verzagen, als das Rudel der Toten losstürmte und mit lautem Plätschern im See ausschwärmte.
Mach weiter. Er suchte schnell ein neues Ziel und gab innerhalb von fünf Sekunden drei Schüsse ab, wobei er die Front der Angreifer von links nach rechts anvisierte. Für dich. Für dich. Und für dich.
Es gelang ihm aber nur ein einziger Kopfschuss, mit dem er eine männliche Leiche mit aufgedunsenem Oberkörper und langem feuchtem Bart niederstreckte, und er sah, dass ein weiterer Schuss die knochige Schulter einer grimmig blickenden alten Frau ohne Ohren durchschlug. Sein Schuss auf eine Jugendliche in einem pinkfarbenen Hello-Kitty-T-Shirt ging ins Leere. Mit erzürntem Heulen setzten die Wesen ihren amphibischen Vormarsch fort und rückten ihm immer dichter auf den Leib.
Sie waren nicht einmal schnell– auf dem tückischen Seeboden kamen sie sogar noch langsamer voran als Marco–, aber sie hatten sich gefährlich weit aufgefächert, sodass er entsprechend viel Zeit für die Bekämpfung von Einzelzielen brauchte. Allerdings hatte er auch nicht vor, sich nur auf die Waffe zu verlassen. Es war natürlich richtig, ein paar Leichen aus dem Rudel herauszuschießen, dadurch ihre Anzahl zu verringern und seine Fluchtmöglichkeiten zu verbessern. Aber ein Massaker veranstalten? Das wäre nur der Wagemut eines Vollidioten gewesen. Er hatte während der Evakuierung schon zu
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