Return Man: Roman (German Edition)
nicht riskieren, ein Feuer anzuzünden. Oder er machte wieder kehrt, ging zum Hochsitz zurück und hakte diesen Tag einfach ab. Joan Roark würde sich dann eben auf sein Wort verlassen müssen– auch ohne einen konkreten Nachweis, dass er den Job erledigt hatte. Daswäre zwar die schlechteste Lösung, aber vom Vertrag gedeckt.
Allerdings gefiel ihm keine dieser Optionen.
Hoffnungsvoll schaute er in Richtung des Docks. Neben einer Pfahlkonstruktion lag ein ausgebleichtes rotes Kanu kieloben im Sand. Doch schon von hier aus erkannte er ein Loch im Rumpf, wo das Holz aufgrund mangelnder Pflege während mehrerer Winter einfach zerbröselt war. Das Boot war nicht seetüchtig.
Im Bewusstsein, dass seine Unschlüssigkeit ihn nur Zeit kostete, blickte er über die Schulter zurück. Der Berg verstellte ihm die Sicht nach Osten, sodass er nicht zu erkennen vermochte, wie weit die Geier schon vorangekommen waren. Doch seine innere Uhr sagte ihm, dass er besser schnell eine Entscheidung treffen sollte.
Fluchend bückte er sich, schnürte die Stiefel auf und kickte sie weg. Dann zog er die Hose aus.
Er legte die Hose, die Weste und das lange ClimaCool -Hemd ab, doch das Holster mit der Kimber hängte er sich wie einen Gürtel um den Hals. Völlig unbewaffnet wollte er nun auch wieder nicht gehen. Und wenn er ausgesprochenes Glück hätte, würde es ihm vielleicht sogar gelingen, den ganzen Weg in den See hinauszuwaten. Er legte die Glock auf die zusammengefaltete Kleidung und griff nach dem Messer. Das wollte er auch noch mitnehmen.
Das Wasser war kälter, als er es im September erwartet hätte– selbst für Montana. Mit zusammengebissenen Zähnen watete er schnellstmöglich ins Wasser und ignorierte den Kälteschock in den Hoden, als sie ins Wasser eintauchten. Der Seeboden bestand aus einem Flickenteppich aus Gestein und zähem Schlick. Als Kind hatte er das Gefühl von Schlamm zwischen den Zehen immer gehasst; er hatte Angst vor Blutegeln gehabt, die dort vielleicht verborgen waren. Doch nun konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er war ein ängstlicher Junge gewesen, der sich vor allem und jedem fürchtete.
Ihr müsstet mich jetzt mal sehen. Wenn es nur Blutegel sind, die heute an mir nagen, kann ich mich noch glücklich schätzen.
Nach zwei Dutzend Schritten reichte das Wasser ihm schon bis zur Mitte der Brust, doch dann stabilisierte der Pegel sich, und er kam noch einmal doppelt so weit, ohne tiefer einzutauchen. Wenn man im Wasser stand, war es schwierig, die Leiche zu sehen. Und er verausgabte sich auch noch sinnlos, indem er sich auf etwas zubewegte, das sich schließlich als ein Baumstamm entpuppte– bevor er dann eine fettige Spur bemerkte, die wie ein Ölfleck auf der Wasseroberfläche aussah.
Das stammte von der Kopfwunde. Marco folgte dieser Spur und erspähte wenig später Roark, der nur ein paar Meter vor ihm trieb.
Er kämpfte sich durchs Wasser zur Leiche hinüber. Roarks bloßer Rücken ragte wie ein Walbuckel aus dem Wasser; die weiße Haut war purpurfarben verfärbt und mit Quetschungen und Blutergüssen übersät– fast schon wieder ästhetisch wie die Muster auf einem Schmetterlingsflügel. Marco griff mit der freien Hand nach der Leiche, um sie festzuhalten, bevor sie noch weiter abtrieb. Doch dann überlegte er es sich anders. Mit dem Messer stach er der Leiche in den Rücken. Ein neuer Strom schwarzer Flüssigkeit entsprang zwischen zwei Rippenknochen und tropfte in den See. Marco schaute zu.
Die Leiche zuckte nicht einmal.
Zufrieden packte Marco die Leiche an den Schultern und drehte sie um. Der tote Roark wandte nun das Gesicht der Sonne zu; der Mund stand offen und zeigte zwei Reihen kariöser brauner Zähne. Das Ding stank förmlich zum Himmel.
Marco musterte die toten Augen und den sperrangelweit geöffneten Mund. Eine erlegte Leiche war aus der Nähe oft ein schauderhafter Anblick, der das ursprüngliche Erfolgserlebnis ins Gegenteil verkehrte. Manchmal wünschte er sich, sie würden friedlich aussehen, erleichtert oder vielleicht sogar dankbar. Er hatte einmal eine Geschichte von Edgar Allan Poe gelesen– Die Tatsachen im Falle Waldemar –, wo ein alter Mann widernatürlich unter Hypnose am Leben erhalten worden war, nur um zu Staub zu zerfallen, nachdem man ihn aus der Trance befreit hatte. Befriedigend war das nicht. Eine Rauchwolke, ein lautes Zischen. Ein greller Blitz. Irgendetwas Spektakuläres. Stattdessen das hier: ein totes armes Schwein, das überhaupt nicht
Weitere Kostenlose Bücher