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Return Man: Roman (German Edition)

Return Man: Roman (German Edition)

Titel: Return Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.M. Zito
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Tag.
    Das unheimliche Heulen schwoll wieder an und ertönte nun lauter als je zuvor. Marco vermutete, dass die Horde der Leichen– bei dem Lärm, den sie veranstaltete, schätzte er ihre Anzahl auf etwa fünfzig– seinen Standort vielleicht in einer halben Stunde erreicht haben würde. Dabei kalkulierte er mit ein, dass das Terrain uneben und mit Wurzeln und Felsbrocken übersät war. Vielleicht zogen sie aber auch gar nicht in seine Richtung. Mit etwas Glück würden sie ihn links liegen lassen.
    Er runzelte die Stirn. Es gab eigentlich keinen Grund für das Unbehagen, das er verspürte. Er selbst hatte nur einen kurzen Weg zum See, einen kleinen Abstecher: die Leiche überprüfen, den Ring bergen und auf den Hochsitz zurückkehren. Höchstens eine Viertelstunde. Mit der geschlossenen Zeltplane würden sie ihn hier oben niemals entdecken. Es war zwar keine ideale Situation, aber eine akzeptable. Auf jeden Fall besser, als wenn er zugelassen hätte, dass die Leiche in die Mitte des Sees abtrieb.
    Geistesabwesend zwirbelte er das linke Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger– diese Angewohnheit hatte er als Kind schon gehabt, wenn er nachdachte. Er drückte den Knöchel in ein kleines dreieckiges Loch im Ohrläppchen. Es hatte die Konturen eines Zahns und war entstanden, als er im Alter von sieben Jahren von einem Hund gebissen worden war. Das war vor nunmehr fünfunddreißig Jahren an einem Sommermorgen geschehen, als er im Garten zwischen die Hecken gekrochen war, um nach einem Gummiball zu suchen. Ohne Warnung war Frankie, die gelbäugige Töle der Nachbarn, mit gefletschten Zähnen durch die Hecke gebrochen. Diese furchtbare Schrecksekunde verfolgte Marco noch bis heute. Das wütende animalische Knurren, der schwarze Kopf, der explosionsartig durch die Blätter brach, das Gewicht des warmen, stinkenden Tiers, das ihn in den Gartenmulch drückte.
    Er wird mich fressen, hatte er sich wie in Trance gesagt, als Krallen sein Hemd zerrissen und ihm den Rücken zerkratzten.
    Seine erste Lektion, dass Monster nicht nur in der Einbildung existierten. Sie konnten einen auch im wirklichen Leben heimsuchen.
    Bis zum heutigen Tag hatte er eine Heidenangst vor Hunden.
    » Ach, zum Teufel«, sagte er sich schließlich. » Packen wir’s an.«
    Im Bewusstsein, dass die Zeit drängte, setzte er wieder einen Fuß auf die oberste Stange und führte dann den rechten Fuß nach, bis er die darunterliegende Stange spürte. Zügig kletterte er den Baum hinab. Er presste sich eng gegen den Stamm und hörte, wie das Holster in schnellem Rhythmus gegen das immergrüne Holz schlug.
    Am Boden sondierte er das Terrain. Die großen Farne, die den Waldboden wie ein Teppich überzogen, leuchteten grün und standen voll im Saft. Tautropfen glitzerten an Spinnweben zwischen den Farnwedeln, und Sonnenlicht stach wie weiße Speere durch die Baumwipfel. Die einzige Auffälligkeit war eine Schneise aus teils zertrampelten Pflanzen, die nach Süden führte– eine Spur, die er gestern auf dem Weg zum See selbst gezogen hatte. Er entsicherte vorsichtshalber die Glock und folgte dem Pfad.
    Es war ein gutes Gefühl, die Beine auszustrecken, die verkrampften Glieder zu entspannen und sich wieder einmal zu bewegen.
    Ungefähr dreißig Meter bergab wurde die Luft schon deutlich wärmer, und als er sich umschaute, sah er einen leichten Nebel über sich. Er hatte in einer Gebirgswolke gesessen, ohne es überhaupt bemerkt zu haben. Der Dunst verschleierte aber auch die zertrampelte Vegetation. Könnte von Vorteil sein, sagte er sich.
    Oder auch nicht. Marco bezweifelte, dass die Leichen über die geistigen Fähigkeiten verfügten, ihn zu verfolgen. Er sollte lieber auf die Umgebung achten und sich markante Landschaftsmerkmale einprägen. Wie zum Beispiel einen großen grauen, abgeplatteten Felsbrocken und einen halb umgestürzten Baum, der schräg aus einem Hügel aus ineinander verschlungenen Wurzeln wuchs. Marco fügte sie seiner mentalen Landkarte hinzu. Er durfte es nicht riskieren, sich auf dem Rückweg zum Hochsitz zu verirren.
    Und schon gar nicht, wenn Monster hinter ihm her waren.
    Je näher er dem See kam, desto lichter standen die Bäume, und die Luft roch wie in einem muffigen Keller. Dann stieß er auf ein Gewirr von Fußabdrücken– manche von nackten Füßen, andere nicht– in der weichen Erde.
    Dieser Bereich war vor Kurzem noch » heiß« gewesen.
    Er machte sich deswegen aber nicht allzu viele Sorgen. Er hatte diese Spuren schon vor

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