Return Man: Roman (German Edition)
einer Supermacht erlangen. Der Impfstoff ist eine wahre Goldmine und würde der Wirtschaft durch Produktion und Distribution Umsätze in Billiardenhöhe bescheren. Und ihr politischer Wert ist praktisch unermesslich– ein Pfund, mit dem man gegenüber anderen Staaten, ob Freund oder Feind, wuchern kann. Jede infizierte Nation, die den Impfstoff braucht, würde vor ihrem Herrn und Meister zu Kreuze kriechen müssen.«
» Und wenn der Meister nicht teilen will«, sagte Marco nachdenklich, » sind alle anderen im Arsch.«
» Ganz recht.« Wu warf wieder einen Blick in den Rückspiegel. » Nun wissen Sie auch, weshalb wir verfolgt werden. Und wieso wir nicht anhalten oder gar nach Hause gehen können. Osbourne strebt mit aller Macht sein großes Comeback an. Deshalb wäre es ein Schlag ins Kontor für ihn, wenn ein anderes Land ihn bei der Jagd nach der Ballard-Leiche schlagen würde.«
» Na toll. Und was, wenn es niemandem gelingt, Roger zu finden?«
Wu schaute ihn ausdruckslos an. » Dann lässt Osbourne Sie bis in alle Ewigkeit weitersuchen.«
Marco verzog das Gesicht. Der schwarze Himmel hatte sich inzwischen zu einem tristen Grau aufgehellt– die Morgendämmerung brach an–, und die Sterne waren wieder im unbekannten Universum versunken. In einer Stunde würde die Sonne aufgehen und die Wüste wieder ihrer hitzigen Tyrannei unterwerfen. Nichts vermochte sie daran zu hindern.
Er ließ die Schultern hängen. Er hatte das Gefühl, den in den nächsten vierundzwanzig Stunden bevorstehenden Ereignissen nicht gewachsen zu sein. Das, was er eben gehört hatte, war so unglaublich– es stand so viel auf dem Spiel, dass er es kaum fassen konnte, auch in dieser Sache involviert zu sein. Herr der Welt? Genetisch verändertes Blut? Er hatte aufmerksam zugehört und nach einem Fehler gesucht, nach irgendeinem Indiz dafür, dass Wu sich diesen Mist spontan aus den Fingern saugte. Doch dem war nicht so. Wus Antworten klangen durchaus logisch und schienen noch dazu mit Marcos intuitiven Schlussfolgerungen übereinzustimmen.
Dann sagte Wu also die Wahrheit. Nur dass…
Nur dass Marco schon wieder den starken Verdacht hegte, den er gestern schon im Jeep gehabt hatte– dass Wu ihm irgendetwas verschwieg.
Aber was? Was konnte es sonst noch geben? Der Sergeant hatte jede Frage beantwortet– hatte nichts zurückgehalten und alles erläutert. Marco streckte sich. Alles.
In seinen Ohren knackte es, und die Verstopfung verpuffte wie eine kleine kalte Bombe, die in seinem Schädel explodierte. Und dann wusste er es– wusste, was hier nicht stimmte.
Wu weiß einfach alles.
» Nur noch eine letzte Frage«, sagte Marco. » An den Sergeant First Class Wu.«
Wu hatte sich wieder der Beobachtung des Rückspiegels gewidmet. Bei der Erwähnung seines exakten Dienstgrads spannte er die Kiefermuskeln an. » Ja?«, fragte er kurz angebunden.
Marco zögerte. Er holte noch einmal Luft und ließ es raus:
» Wer sind Sie wirklich?«
Wu drehte sich halb um– wobei er jeden Blickkontakt vermied– und sah angestrengt aus dem Fenster, als beobachtete er irgendetwas in der Ferne. Marco war sich sicher, dass sein Verdacht begründet war. Der Mann wusste verdammt noch mal zu viel für einen Unteroffizier und hätte eigentlich nur Antworten auf die Hälfte seiner Fragen haben dürfen…
Und dann riss Wu plötzlich die Augen auf.
» Runter!«, rief er und warf sich auf den Boden, während Marco sich noch fragte, was jetzt schon wieder los war…
…und ohne Vorwarnung explodierte die Frontscheibe der Lokomotive. Eine heiße, von Scherben durchsetzte Druckwelle brandete gegen Marcos linke Wange an, eine Gasgranate flog in den Führerstand und spie orangefarbenen Qualm aus, der in den Augen brannte und den Atem raubte, und er schrie gequält auf, als er den Rauch einatmete und würgte; er bekam keine Luft mehr, er musste hier raus …
Doch zu spät. Der Himmel färbte sich wieder schwarz; die Nacht hatte über die Sonne triumphiert, und Marco verlor das Bewusstsein und brach in der Wolke aus orangefarbenem Gas, die den Zug erfüllte, zusammen.
7 . 5
Marco war wach. Oder auch nicht. Er wusste es nicht.
Er saß in seinem Büro im Cedars-Sinai.
» Ich kann sie retten, Henry.« Roger Ballard legte die Fäuste auf Marcos Schreibtisch und beugte sich nach vorn, nicht bedrohlich, aber doch mit einer solchen Intensität, dass Marco sich zurücklehnte. Die rechteckigen Gläser von Ballards Brille verliehen seinem kantigen Gesicht eine
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