Revanche - Exposure
ruckelte und dabei höllisch aufpasste, dass sie nicht in einem der kratertiefen Schlaglöcher hängen blieb. Nach etwa fünfzehn Metern öffnete sich vor ihnen ein verkarstetes Felsplateau. Weit und breit kein Gebäude, keine Menschenseele, aber das passte Grant offenbar hervorragend in den Kram. »Gut.« Er nickte zufrieden. »Das ist genau das Richtige.«
Emma blinzelte gegen das plötzlich einfallende Sonnenlicht. Sie fuhr langsam weiter, bis er sie schließlich anwies, anzuhalten - ungefähr dreißig Meter vor einer steil abfallenden Klippe. Für Augenblicke saß sie nur da, überlegte angestrengt. Irgendwann drehte sie zeitlupenartig den Kopf zu Grant. »Und jetzt?«
Er schien sich unschlüssig zu sein, und das machte ihr fast noch mehr Angst als seine Drohung zuvor. Dieser Mann war ein Psychopath, dem es lange Zeit geglückt
war, seine Verhaltensstörung zu vertuschen. Aber jetzt schien er ernsthaft die Kontrolle über sich zu verlieren. Lag es daran, dass sie mit einem Mal durchschaute, wozu er fähig war, oder hatte er seit ihrer Flucht mental merklich abgebaut?
»Steig aus dem Wagen«, befahl er. Er löste den Sicherheitsgurt, öffnete die Beifahrertür und kletterte mit Gracie auf dem Arm hinaus. »Gib mir die Schlüssel - und keine dummen Tricks, Emma«, warnte er. »Ich hab ziemlich schwache Nerven.«
Das ist sicher noch gehörig untertrieben , überlegte Emma bitter.
Gracie bog demonstrativ den Oberkörper von Grant weg und streckte die Ärmchen nach ihrer Mutter aus. Nachdem sie ihm die Wagenschlüssel ausgehändigt hatte, drückte er ihr die Kleine in den Arm. Wie ein Äffchen an sie geklammert, verbarg Gracie leise schniefend ihr kleines, heißes Gesicht an Emmas Schulter. Emma schmiegte sie fest an sich und wiegte sie tröstend auf ihren Hüften.
Ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie würde irgendetwas unternehmen müssen, bevor die Situation eskalierte. Grants mentaler Zustand war verdammt heikel. Nach einem langen, tiefen Atemzug zauberte sie ein Lächeln auf ihr Gesicht. In dem verzweifelten Versuch, Woodard darüber hinwegzutäuschen, wie elend sie sich in Wirklichkeit fühlte.
»Hör mal, Grant«, hob sie an und überlegte fieberhaft. Na, super, Em, ein megamäßiger Gesprächseinstieg. »Ich hätte nicht auf dich losgehen dürfen«, räumte sie ein. Und schämte sich kein bisschen, dass sie ihn gnadenlos anlog. Bei diesem Mann wäre sie zu allem fähig gewesen -
wenn man sie gelassen hätte. Ihm das Blaue vom Himmel herunterzulügen war da noch das Harmloseste. »Aber, Grant«, fuhr sie milde lächelnd fort, »du weißt ja, wie fürsorglich ich gegenüber meinem Kind bin. So wie du - du hast mich doch auch immer beschützt.«
Innerlich wand sie sich. Ah, Dieu, das war zu dick aufgetragen. Jetzt bist du zu weit gegangen. Verdammt, Em! Was hast du da bloß für einen Mist verzapft? Sie hätte schreien mögen über ihre dämliche Reaktion, ließ sich aber nach außen hin nichts anmerken. Er mag verrückt sein, du dusselige Kuh, aber er ist nicht auf den Kopf gefallen - nur ein kompletter Idiot würde diesen Blödsinn schlucken.
Zu ihrer großen Verblüffung entspannten sich Grants Züge. Er streckte eine Hand aus, und Emma zwang sich, nicht zurückzuzucken, als seine Fingerspitzen ihre Wange streiften. Sie rang sich sogar ein weiteres Lächeln ab, worauf er allen Ernstes zurückgriente.
In diesem Augenblick begriff sie das ganze Ausmaß seiner psychischen Störung oder wie immer man es nennen wollte. Etwas, was ihn zu perversen Handlungen trieb, wie Emma inzwischen herausgefunden hatte … und anderes, das sie sich lediglich in scheußlichen Farben auszumalen vermochte.
Und ihr war unangenehm bewusst, dass seine derzeitige Freundlichkeit schlagartig ins Gegenteil umschlagen konnte. Wovon diese Gefühlsschwankungen ausgelöst wurden, war ihr allerdings ein Rätsel. Auf gar keinen Fall durfte sie ihn in irgendeiner Weise provozieren, redete sie sich zu. Sie merkte, dass sie hyperventilierte, ihr Atem ging flach und schnell; sie holte mehrmals tief Luft und atmete konzentriert wieder aus. Währenddessen überlegte
sie, wie man geschickt mit einem Psychopathen plauderte und dabei auf Zeit spielte.
Irgendetwas musste sie ja schließlich sagen.
Grants Finger glitten von ihrem Kinn zu Gracies Hinterkopf, streichelten hingebungsvoll die weichen Locken, als hätte er der Kleinen nie Böses gewollt. »Und ich beschütze sie «, nahm er Emmas Gesprächsfaden wieder auf. »Und deshalb
Weitere Kostenlose Bücher