Revanche - Exposure
her, dass Gracie quasi vor meinen Augen gekidnappt wurde. Was, wenn …?«
»Kein Wenn und Aber«, meinte Ruby scharf. »Mary und ich waren ungeheuer vorsichtig. Ich hab keiner Menschenseele davon erzählt, dass wir heute Abend ausgehen, und Mary hat nicht mal Sue Anne Baker verklickert, dass Gracie hier schläft. Sue Anne ist nämlich ihre beste Freundin, die beiden erzählen sich alles.«
»Was ist mit Ihrem Sohn?«
»Denny ist übers Wochenende bei einem Freund in Seattle. Der weiß von nichts. Ach, übrigens, sind Sie so gefahren, wie ich es Ihnen erklärt hab?«
»Ja.«
»Und es hat Sie auch keiner verfolgt?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Gut, dann starten wir jetzt. Sie fahren zurück zur Pension, wo ich Sie in zehn Minuten abhole. Selbst wenn Ihr Beobachter uns zusammen im Anchor sieht, kommt er bestimmt nicht darauf, wo Gracie ist. Mary hat mir hoch und heilig versprochen, dass sie mit dem Kind allenfalls in den Garten geht.« Sie öffnete die Küchentür. »Und der ist komplett umzäunt.« Sie zog die Tür wieder zu und schloss ab. »Sehen Sie? Wir schließen immer ab.« Sie hob den Telefonhörer auf und tippte zwei Kurzwahlnummern ein. »Eine ist die Direktwahl zum Büro des Sheriffs, die andere die Nummer vom Anchor. Relaxen Sie, Emma.« Sie schob Gracies Mutter mitfühlend eine blondierte Strähne aus der Schläfe. »Es wird schon klappen. Ehrlich gesagt, Schätzchen, Sie haben eine Auszeit bitter nötig. Und Gracie auch.«
Eine kurze Weile später betrat Emma hinter Ruby den Anchor. Die Taverne war wahrlich keine Lifestylebar für angesagtes Schickimicki-Publikum, sondern eine altmodische Tanzkneipe mit einem Parkplatz voller Pick-ups. Im Innern schummriges Licht, lautes Stimmengewirr und stimmungsvolle Countrymusik. Auf zwei kleinen, gebohnerten Holzflächen tummelten sich die Tanzwütigen. Zigarettenrauch hing in einer dunstig blauen Wolke zwischen dem Poolbillard-Tisch und der tief hängenden Lampe mit dem grünwandigen Glasschirm, waberte vor dem grellen Neonschriftzug BAR. Hier schlürfte man bestimmt keine Champagnercocktails oder Caipirinhas.
Die Gäste begrüßten Ruby mit Namen, Männer strafften die Schultern und zogen den Bauch ein, als Emma an ihnen vorüberglitt. Ihre Stimmung hob sich schlagartig. Es machte tatsächlich Spaß. Sie hatte total verdrängt, wie reizvoll ein harmloser, kleiner Flirt sein konnte.
Ruby hatte Recht, sie brauchte ein bisschen Ablenkung. Was in der letzten Zeit auf sie eingestürmt war, hatte ein emotionales Chaos bei ihr hinterlassen. Und die drängenden Probleme konnten gut und gerne bis morgen warten. Heute Abend würde sie sich amüsieren und relaxen. Eine durchaus annehmbare Perspektive.
Emma wurde zum Tanzen aufgefordert, noch bevor sie überhaupt einen Tisch gefunden hatten. Auf Rubys Drängen hin akzeptierte sie halbherzig. Als sie zurückkehrte, saß Ruby mit Clare und Sam Mackey an einem Tisch an der kleineren Tanzfläche, wo man ohne festen Partner tanzte. Sie begrüßte die beiden, bedankte sich bei ihrem Tanzpartner - für einen Koloss mit Bierbauch und XXL-Format war er erstaunlich leichtfüßig - und setzte sich zu den anderen.
Brooks und Dunn stimmten »Ride’Em High, Ride’Em Low« an, und ein weiterer Tänzer scharwenzelte um Emma herum. Bezaubernd lächelnd schickte sie ihn mit den Worten »Ich muss erst wieder zu Atem kommen, Cher « in die Wüste. Sie wandte sich an die Kellnerin und bestellte ein Jax.
»Häh?«
»Eine Flasche Jax, s’il vous plaît ?«
»Das ist die Marke mit dem langen Flaschenhals, Marion. Irgend so ein Bier, das sie im Süden trinken«, warf Sam ein. »Bringen Sie uns noch’nen Krug, ja?« Und zu Emma: »Jax kennt man hier nicht. Bei uns müssen Sie sich wohl oder übel mit dem einheimischen Gebräu zufrieden geben.«
»Kein Problem«, räumte Emma mit einem gleichmütigen Schulterzucken ein.
Clare lehnte sich über den Tisch. »Ihr Rock ist toll,
Emma«, überbrüllte sie die laute Musik. »Ist der Slip direkt eingearbeitet?«
» Oui . Den Rock trag ich unheimlich gern zum Tanzen.«
»Hoffentlich sorgen Sie damit nicht für Furore«, brummelte Sam. Sämtliche Typen hatten den winzigen Slip mit dem hohen Beinausschnitt höchstwahrscheinlich schon bemerkt, als Gus Moser sie übers Parkett wirbelte.
»Was meinten Sie gerade, Cher ?« Sie beugte sich zu ihm vor, spitzte die Ohren. »Ich hab Sie akustisch nicht verstanden.«
»Ach, vergessen Sie’s. War nicht so wichtig.«
Emma musterte ihn
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