Revelations
der linken nach Jiaos Schulter, um sie zum Umkehren zu bewegen. Da hörte sie Nadim gereizt stöhnen, wie er es bei jedem heftigeren Zusammenstoß getan hatte, doch kurz darauf sackte er zu Boden, obwohl rings um ihn herum niemand mehr zu sehen war. Nur aus den Augenwinkeln erkannte Angel einen Schatten, der schnellen Schrittes von einer Seitengasse verschlungen wurde. Eine oberflächliche Abtastung von Nadims Brust bestätigte ihren Verdacht. Blut trat aus einem Loch in seiner Robe aus.
»Holt euch die Informationen!«, befahl sie und zog anschließend Dog am Kragen zu sich herunter. »Du bringst die beiden hier lebendig raus, klar?«
Bevor Jiao oder er etwas entgegnen konnten, verschwand sie bereits in der Dunkelheit und hetzte dem vermeintlichen Angreifer nach.
***
»Angel? Angel!«, knisterte es aus ihrem Ohrstöpsel, doch sie durfte nicht antworten. Ihre Nackenhaare standen hoch wie die Nadeln auf dem Rücken eines Stachelschweins, wenn es angegriffen wird. Sie fühlte die Präsenz des Attentäters ganz in ihrer Nähe. Zu allen Seiten der Kreuzung loderten brennende Fässer, an denen sich der Mörder nicht ungesehen vorbeischleichen konnte. Er musste noch hier sein.
Angel verharrte regungslos in einem Türrahmen entlang der Gasse. Die Menschen hatten den Vorfall inzwischen bemerkt. Frauen kreischten, Männer riefen nach den Wachen. Die Bewohner im Umkreis der Tat waren in ihren Häusern verschwunden. Angel blieb mit dem Angreifer allein. All ihre Sinne warteten auf ein Signal. Den Geruch von Angstschweiß, den Windhauch eines heranzischenden Messers, das Geräusch einer entsichernden Pistole oder ein Schatten, der plötzlich lebendig wurde.
Auf einmal geschah es. Im Fensterrahmen im zweiten Stockwerk auf der gegenüberliegenden Straßenseite blitze das Mündungsfeuer einer schallgedämpften Pistole auf, dessen Geschoss das Holz der Tür neben Angels Kopf zersplitterte. Sofort erwiderte sie das Feuer. Ungezielt, aber der Attentäter zog sich fluchtartig zurück und sprang in die hell erleuchtete Gasse zu ihrer linken. Bei der Verfolgung fiel Angel Jades Amulett auf, das aus ihrer Uniform herausgerutscht war und nun an ihrem Hals hin und her baumelte. Durch dessen Reflexion musste der Schütze sie entdeckt haben.
Nach zwei weiteren Hausblöcken schien Angel ihr Ziel endlich in einer Sackgasse gestellt zu haben. Sie hielt ihre Pistole mit beiden Händen fest und zielte auf den nervösen Schatten, der aufgeregt hin und her zappelte und nach einem Ausweg suchte.
»Die Waffe runter!«, rief Angel keuchend. Aber anstatt ihrem Befehl folge zu leisten, wirbelte der Attentäter seinen Arm herum und drückte ab. Im letzten Moment sprang Angel hinter eine Hausecke, um dem Beschuss zu entgehen. Sie vernahm das vertraute Klicken eines ausgeworfenen Magazins und zögerte keine Sekunde, drehte sich um die Ecke und schoss. Zwei Mal, drei Mal, vier Mal. Ihre ungezielten Kugeln prallten in der Dunkelheit funkenschlagend von den Wänden ab, doch der Schatten verschwand auf einmal direkt zwischen zwei Häusern. Sofort setzte Angel nach und sah, dass die beiden Gebäude weniger als einen halben Meter voneinander entfernt standen und sich der unbekannte Schütze zwischen ihnen hindurchquetschte. Bevor sie abzudrücken vermochte, kam ihr der verhüllte Angreifer bereits zuvor. Die mausgrauen Wände blitzten bei den schallgedämpften Schüssen taghell auf und Angel musste sich erneut in Sicherheit bringen. Sie hielt ihre Waffe in den Spalt und drückte blind ab, doch ihre Pistole war leer. Das Ersatzmagazin hing griffbereit an ihrem Gürtel, aber ehe sie es benutzen konnte, vernahm sie das Klicken eines halben Dutzends Kalaschnikows um sie herum. Eine grelle Taschenlampe leuchtete ihr direkt ins Gesicht und eine grunzende Männerstimme forderte sie auf, die Waffe fallenzulassen.
Geblendet und desorientiert leistete sie dem Befehl folge. Der Anführer trat näher, hob die Pistole auf und musterte Angel genauer. Dabei fiel sein Blick auf das glänzende Amulett um ihren Hals und von einem Augenblick zum anderen änderte sich sein überheblicher Gesichtsausdruck zu dem eines hilflosen Knaben, der wusste, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
»V-verzeihung Herrin«, stammelte er hervor, reichte Angel die Pistole und sank zusammen mit seinen Männern auf die Knie.
»Wo führt dieser Spalt hin?«, brüllte sie ihn wütend an, was ihren unerwarteten Status als Bacchae des Imperiums glaubhaft widerspiegelte.
»Zur
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