Revelations
hier raus! Sofort!«, befahl Angel beinahe flüsternd, überprüfte ihre zwei Pistolen und folgte dem Schützen in die Dunkelheit.
Anders als Nadims Mörder wusste ihr Ziel nichts von der Verfolgerin auf seinen Fersen. Er schien auch ganz andere Sorgen zu haben; lief vergleichsweise ziellos durch die engen Gassen und versuchte nahezu jede Tür zu öffnen. Im Licht eines größeren Lagerfeuers konnte Angel Blutspuren auf dem Boden erkennen und bei genauerer Betrachtung fiel ihr auf, wie die verhüllte Gestalt ihren linken Arm eng am Körper gepresst hielt. Er war verletzt und brauchte dringend einen Verband. Damit lieferte er Angel einen erstklassigen Verhörvorteil wie auf dem Silbertablett. Jetzt musste sie ihm nur noch in ein verlassenes Haus folgen, wo sie ungestört sein würden.
Die Schüsse in der Umgebung hatten nicht nachgelassen. Die halbe Stadt schien plötzlich aufeinander loszugehen. Von der Hauptstraße hörte Angel die aufheulenden Motorengeräusche bewaffneter Pick-ups, die eilig Schlüsselpositionen von Arnac besetzten. Lautsprecherdurchsagen forderten die Bewohner auf, sich in ihre Häuser zurückzuziehen. Die Ausgangssperre wurde aufgrund des Chaos vorgezogen. Mit jeder Minute verringerte sich die Chance, ungeschoren aus der Sicariistadt herauszukommen, doch Angel durfte nicht mit leeren Händen zurückkehren.
Als sich ihr Ziel eine kurze Verschnaufpause gönnte, betrachtete sie das silberne Amulett im Mondschein, dass ihr an nur einem Tag zwei Mal das Leben gerettet hatte. Sie verstand noch immer nicht, warum ihr von Jade eine derartige Macht über die Todfeinde der Ranger anvertraut worden war. Allmählich dämmerte ihr jedoch, dass die Pläne der Bacchae weit jenseits der Freien Enklaven liegen mussten.
Plötzlich vernahm Angel Geräusche von den Dächern der zweistöckigen Wohnhäuser. Auch dem verletzten Schützen waren die herabfallenden Steinchen nicht entgangen. Sein Kopf zuckte nach oben und beäugte misstrauisch die feine Staubwolke, die langsam hinter den Steinen zu Boden sank. Dann nahm er wieder die Beine in die Hand und rannte so schnell es sein geschwächter Zustand zuließ.
Kurz darauf bog er in eine etwas breitere Straße ab und Angel befürchtete bereits, dass sie sich dem Ende der engen Gassen näherten. Kaum steckte sie jedoch den Kopf um die Ecke, erblickte sie vier sicariianische Soldaten, die, noch bevor sie reagieren konnte, ihr Ziel mit einer Gewehrsalve niederstreckten. Instinktiv faltete sie die Arme über den Ohren zusammen, um dem Donnern zu entgehen, und rollte sich an der Wand zurück in den schmalen Weg, aus dem sie gekommen war. Dann erinnerte sie sich an ihre vermeintliche Tarnung als Bacchae und entschied, diesmal offensiv vorzugehen.
Mit erhobenem Haupt und den beiden Pistolen in den Händen marschierte sie auf den getöteten Schützen zu und ließ die Soldaten dabei keinen Moment aus den Augen. Ihr Plan schien zu funktionieren. Die Männer senkten ihre Gewehre und entspannten sich, traten auf sie zu und untersuchten gleichermaßen die Leiche auf dem Boden. Angel überlegte, ob sie die Sicarii nach der Identität des verhüllten Flüchtlings fragen sollte, vermutete dann aber, dass sie aller Voraussicht nach mehr wissen dürfte, als eine einfache Patrouille, und eine derart offenkundige Unkenntnis ihre Tarnung gefährden würde.
Die Soldaten musterten sie ohnehin bereits mit zunehmender Neugier und raunten einander unüberhörbar argwöhnische Verdächtigungen zu. Als Angels Nackenhaare wieder stachelschweinartig Alarm schlugen, befahl sie den Männern, die Umgebung zu sichern, um ungestört arbeiten zu können. Anstatt ihrer Anweisung im Handumdrehen folge zu leisten, kam der Anführer auf sie zu und verlangte, das Amulett zu sehen. Angel hielt ihm die Silberplakette grimmig ins Gesicht und überlegte, ob sich eine wahre Bacchae für sein gesundes Misstrauen erkenntlich zeigen oder ihn für seinen Ungehorsam bestrafen würde.
Entgegen aller Erwartung trat der verschwitzte Mann zurück, brüllte seinen Leuten laut »JADE!« zu und befahl Angel mit angelegtem Gewehr, die Waffen fallenzulassen und sich auf den Boden zu legen. Ihr Griff um die beiden Pistolen verkrampfte sich, als sie die Grenzen ihrer angeblich unbegrenzten Macht zu spüren bekam. In Zeitlupe ging sie in die Knie und suchte fieberhaft nach einem Ausweg, da hörte sie erneut das Geräusch von den Dächern fallender Kieselsteine.
Doch diesmal waren es keine Steinchen, die vom Himmel auf die
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