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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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aber er war bei vollem Bewusstsein, sogar bei vollem Unterbewusstsein, sein gesamter Körper schien mit winzigen Antennen ausgestattet zu sein. In einem solchen Zustand avancierte das Einkaufen zur Kulthandlung, die Produkte wurden mit Liebe und Bedacht ausgewählt. Er erfreute sich an der Aufmachung einer Packung, an der Erfindung von Antigeruchsteinen für WCs oder an 95% biologisch abbaubarer Allzweckseife, die er schon allen seinen Freunden empfohlen hatte. Manchmal ging er durch die Produktreihen wie durch eine Kunstausstellung. Man konnte nur noch staunen.
     
    Währenddessen stand Hans-Joachim Köster breitbeinig vor dem Regal und wurde langsam nervös. Linseneintopf mit Speck, Bohnen mit Speck, Gulasch nach Zigeunerart, Omas gute Suppe. Er stemmte die rechte Hand in die Hüfte, die Jeansjacke spannte sich über dem breiten Rücken. Man musste endlich eine Entscheidung treffen. Aber es gab nur diese verfluchten Dosen, und seit Jahren gab es nur diese. Alle schmeckten gleich, egal was draufstand. Hans-Joachim schloss die Augen und griff einfach nach zwei großen, auf denen stand: „25% mehr zum gleichen Preis“. War ja auch schon egal. Hunger treibt rein. Was stand noch auf dem Zettel? Bier war klar, Zahnpasta, Schuhcreme, Brot, Wurst. Ein paar Leute wollten vorbeikommen. Ob es fünf, zehn oder mehr sein würden, wusste man nie. Je mehr kamen, desto weniger würde im Kühlschrank sein, wenn die Feier vorbei war.
    „Ej, Hansi!“, sagte jemand hinter ihm. Er drehte sich um und blickte auf ein Lederband mit silberner Concha, dann höher und in zwei knallrote Augen.
    „Ach nee, der Spargel. Mann, du siehst vielleicht aus!“
    „Ich bin breit. Ich weiß gar nich mehr, was ich hier wollte.“
    Hansi nickte. Er sah auf die Uhr. „Dann seh zu, dasse wieder ne klare Birne kriss. Ich hab´s ´n bisschen eilig. Nachher gibt´s ne kleine Feier. Migge und Auge sind auch da, komm vorbei, Mann.“
    Hansi boxte Olaf gegen den Arm, was sich nicht so kumpelhaft anfühlte wie es aussah.
    „Wenn ich´s schaff, komm ich später vorbei.“
    „Was heißt: wenn ich´s schaff“, äffte Hansi, „was musst du denn schaffen! Du kommst! Wird lustig, wie in alten Zeiten.“
    Olaf nickte und hob die Hand. Er ging Richtung Fleisch- und Wursttheke und fühlte sich auf einmal unwohl. Die Bedienung, eine mütterliche Mittfünfzigerin, begrüßte ihn freundlich. Da war er wieder, dieser komische Vogel, der alle paar Wochen anders aussah. Aber immer nett und höflich. Neben Olaf stand eine Frau. Er betrachtete sie von der Seite. Eine blasse Frau mit stumpfen Augen und frisch gelegter Dauerwelle. Unter dem billigen Pullover vermutete er einen dieser fleischfarbenen Perlon-BHs. Sie konnte 35 oder 50 sein. Wenn sie die Haare anders hätte und andere Klamotten an, sähe sie vielleicht gar nicht so schlecht aus, dachte Olaf. Auf einmal wusste er, warum er diese Frau so anstarrte und sich ärgerte, als sie den Aufschnitt „abber schön dünn!“ verlangte. Da sparen sie, an der Wurst. Aber Blagen produzieren am laufenden Band, damit sie Kindergeld kassieren. Oder ein Ekelpaket von Mann zu Hause, der ihr das Geld einteilt. Sie erinnerte ihn an seine Mutter. Er wusste nicht, wie sie jetzt aussah, er hatte sie seit Jahren nicht gesehen. Aber es war dieser Typ Frau. So ein frühreifes Rock ´n Roll-Früchtchen und mit 15 schwanger geworden. Noch vor der zweiten Wohnzimmer-Garnitur gehen sie auf wie Hefe und bekommen diese farblose, nichtssagende Hülle, die sie nie wieder ablegen.
    Seine Mutter hatte ihm nie etwas über seinen richtigen Vater erzählt. Er kannte nur den Walter, der ihr ein neues Kind machte und den sie heiratete, als er gerade in die Schule kam. Den er nie Papa nannte, dessen Namen er tragen musste, Keune, ein Name, den er hasste. Und er hasste seine Mutter, die immer nur hektisch rauchte und schwieg, wenn er verprügelt wurde. Sie litt an ihrem fehlenden Mut, den ungesagten Worten, ein heißes Schweigen. Olaf aber biss die Zähne zusammen, er schrie nicht, heulte nicht, ein kaltes Schweigen. Das machte den Alten rasend. Fassungslos, fast verzweifelt versuchte er einen Ton aus dem verfluchten Kerl herauszuprügeln, aber da war nichts zu machen. In dem Blick, der ihn von unten traf, lag nur Verachtung. Der Junge erkannte ihn als das was er war: ein versoffenes Schwein, das vom Rauchen gelbe Zähne hatte und jede Nacht seine Mutter fickte. Er besorgte es ihr, das wollte sie doch, so eine war sie.
    Sein Stiefvater schlug ihn so

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