Revierkönige (German Edition)
sauber bekam. Dann eben weg damit. Ein Topf im Haus reichte, gab ja doch nur Suppe. Er begann, mit einer zerfledderten Spülbürste die Teller zu bearbeiten und pfiff vor sich hin. Es war Wochenende, endlich. Zwei Tage nicht aufstehen, zwei Tage keinen Zement rühren für die alten Bierbäuche, keine Rattenlöcher ausheben, Sandsäcke schleppen und sich anpöbeln lassen. Aber man füllte sich den Kühlschrank, konnte einen saufen gehen oder sich an der Imbissbude den Bauch voll hauen, vielleicht mal im Stadion ein Fussballspiel ankucken.
Adolf kam wieder. „Sonst noch was?“
„Ja, abtrocknen.“
„Mann ej!“, grummelte er, schnappte sich aber brav ein Tuch, das herumlag, und begann, die beim Abwasch übersehenen Essensreste abzuputzen.
„Ach nee, nich das. Das habbich gerade zum Schuhputzen genommen. Nimm das da“, sagte Hansi und reichte ihm ein anderes Tuch. „Iss zwar auch nich porentief rein, aber geht noch ma.“
Eine halbe Stunde später klingelte es wieder. Vor der Tür standen Auge, Karlchen und Freddy in engen hochgekrempelten Jeans. Sie hatten ihre T-Shirts ausgezogen und über die Schultern gelegt. Die Hosenträger waren über die nackten Oberkörper gezogen.
Räd räd Waaaiin!“, grölten sie und marschierten hintereinander ein, jeder eine Zwei-Liter-Bombe Wein unter dem Arm.
Auge ging zur Stereoanlage, die beim Spargel ausgedient hatte, und legte UB 40 ein. Er grinste Hansi zufrieden an. Das war wie immer verwirrend, weil man nie recht wusste, wohin er eigentlich sah. Er hatte sein linkes Auge bei einem Konzert eingebüßt. Auge, der damals noch Volker hieß, war stinksauer geworden, weil ihn der Blödmann von Türsteher nicht reinlassen wollte und hatte ihn einfach beiseite geschoben. Ein paar Stunden später, als keiner damit rechnete, zogen sie ihn in eine dunkle Ecke. Vermutlich zwei von der NPD, die das Konzert organisiert hatten. Jedenfalls vermatschte ihm einer mit seinem Schlagring das linke Auge. Hansi war noch im Krankenwagen mitgefahren. Mann, das war vielleicht eine eklige Angelegenheit! So kam Volker zu seinem Glasauge und zu seinem neuen Namen. Aber eigentlich Scheiße so was: der arme Volker-Auge war höchstens neunzehn oder zwanzig gewesen, als das passierte, und seitdem für den Rest seines Lebens entstellt. Als Gras über die Sache gewachsen war, kamen sie angeschissen, die von der NPD, und luden sie zu Veranstaltungen ein. Hansi und Migge gingen manchmal hin, aber im Grunde genommen war es langweilig da. Ob Auschwitz nun eine Lüge war oder nicht, war ihnen eigentlich egal.
Im Laufe des Nachmittags trudelten sie alle ein. Das Fenster stand weit offen, so dass ein undefinierbares Krachgemisch und Räd-räd-Waaiin-Gegröhle bis runter auf die Straße zu hören waren. Wer nach oben sah, konnte ein paar Glatzköpfe mit nackten Oberkörpern zwischen den Rauchschwaden erkennen. Da war was los. Die Herrmanns im Erdgeschoss sahen sich jetzt bestimmt mit besorgten Mienen an und schüttelten die Köpfe. Resigniert, ihre Entrüstung nicht gern unterdrückend, fügte man sich in sein Schicksal. Nein, Kalle Herrmann würde nicht zum Telefon greifen, um einen Streifenwagen anzufordern, schon gar nicht da hoch marschieren. Man traute sich ja nichts mehr.
Dabei hätte er ihm das mit dem Strom vor anderthalb Jahren fast noch verziehen. Damals war der Hans-Joachim noch der nette Junge von oben und der Herrmann hatte ihm den Wohnungsschlüssel gegeben, weil die Familie für drei Wochen wegfuhr. Sollte mal nach dem Rechten sehen, Post rausholen, Blumen gießen und so. Ausgerechnet Hansi und Blumen gießen. Stattdessen zapfte er bei Herrmanns den Strom an (bei ihm war er abgestellt worden, weil er die letzten zwei Rechnungen nicht beglich) und führte das Kabel über die Außenwand bis in seine Wohnung. In diesem verkommenen Haus, wo die halbe Elektroinstallation aus den Wänden hing, war das ja einfach, ja, fast müsste man sagen, die Umstände luden einen geradezu ein, so was zu machen. Die Blumen vertrockneten dann, der Herrmann war stinksauer, als er zurückkam, der Hausfrieden gestört. Er meinte dann wohl, er müsste jetzt andere Seiten aufziehen und für Ordnung sorgen, und dass er seit 25 Jahren in dieser alten Zechenwohnung hauste, gäbe ihm das Recht dazu. Eines Tages kam er also rauf, um sich über die laute Musik zu beklagen. Migge machte die Tür auf und meinte: „Kommse rein, kommse rein!“, aber der Herrmann wollte gar nicht. Da zog ihn Migge einfach am Arm, knallte die
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