Revierkönige (German Edition)
mir meine Kumpels und Fußball wichtiger sind, meintse. Hat sich nicht getraut! Ich bin echt sauer. Was hält die von mir, als wär ich son Arsch wie der Möricke.“ Motte weinte. Es war alles ein Elend. Wie viel Zeit mochte vergangen sein? Wie viel Elend? Er meinte, Halluzinationen zu haben. Er hatte doch gerade auf dem Schaukelstuhl gesessen und die braune Eichenschrankwand Jahrgang ‘65 angestarrt, oder? Er wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Es lebe Borussia! Trotz allem. Es gibt keinen Gott außer Borussia!
Schließlich merkte er, dass er im Bett lag. Es war fast ein Uhr nachts und sein Schlafanzug klebte schweißfeucht an seiner Haut. Wie still das auf einmal war! Das konnte er doch nicht alles geträumt haben? Doch, er hatte geträumt. Nur: die Wohnung roch ziemlich intensiv nach Rauch, auch nach süßlichem, harzigem.
Den Tee hatte er natürlich aus Marokko mitgebracht, und Spargel fand, dass er ein bisschen nach Kuhscheiße schmeckte, aber so ein Tee kam zwischendurch ganz gut. Die Gläser, das runde, mit Mosaiksteinen besetzte Tischchen, die Sitzmöbel und der Wandbehang und Berts Ziegenlederschlappen waren auch aus Marokko. Der Bert war nicht aus Marokko, aber er fuhr seit fünfzehn Jahren mit seinem VW-Bus da hin. Vor etwa zwei Jahren hatte er seine Kollektion vervollständigt, indem er eine Freundin importierte. Sie hieß Hasna und war so dunkel und exotisch wie man sich solche Frauen vorstellte, aber Spargel konnte sich nicht für sie erwärmen und fand sie ziemlich hässlich. Bert hatte sich bestimmt vorgestellt, sie wie eine Bedienstete zu halten, doch es war dieses dürre, böse Weib, das ihn in der Hand hatte. Sie war gerade bei ihrer Schwester, auch importiert und mit einem Deutschen verheiratet. Hasna würde sicher bald zurückkommen, meinte der Bert, aber Spargel war gar nicht scharf drauf, sie zu sehen.
Auch heute wäre ihm das passiert, was ihm immer mit dem Bert passierte, es kam aber nicht dazu, nur fast. Normalerweise sah es so aus, dass er einem die ersten fünfundvierzig Minuten richtig gut tat. Bert war die Ruhe in Person, das Paradebeispiel des Schlappis, was aber nicht störte, weil er so gemütlich und freundlich sein konnte und manchmal Sachen von sich gab, die einem so richtig aus der Seele sprachen. In solchen Momenten tat es Olaf leid, dass sie immer über den armen Bert herzogen und sich ein bisschen ekelten, weil er etwas Ungewaschenes an sich hatte, was mit den blau-braunen Farbtönen, aus denen sich seine Bekleidung zusammensetzte, zu tun haben musste. Ach, und dass sie über seine Hosen lachten, die ihm um den Hintern schlackerten, weil er nur drauf saß. Sie sagten, der Bert sei so um die 40, immer schon gewesen, hahaha. Und wie immer nahm Olaf sich vor, ihn mal wieder öfter zu besuchen. Im Moment hatte er sowieso die Schnauze voll von den anderen. Manchmal ist das so. Man ärgert sich über die Fehler der anderen, Fehler, die sie immer schon hatten und die einen sonst auch nicht störten, aber es gab Zeiten, da harmonierten die Fehler der anderen einfach nicht mit den eigenen. Obwohl man die eigenen ja selten als Fehler erkannte. Aber hier beim Bert, in den Sesseln, die für Spargels Körperlänge zu niedrig waren und in denen man dennoch sehr bequem saß, befand man sich in einer Art Schwebe, als gäbe es keine Zeiteinheiten mehr. Es war wie in einer Schutzzone, weil es keine Überraschungen (z.B. in Form von Besuch) gab, also konnte ihm auch nichts passieren.
Weil der Bert aber gerne redete und nicht gerne damit aufhörte, nahm man in der zweiten Halbzeit nur noch seine leierige Stimme wahr, wobei man nicht sagen konnte, worüber er eigentlich redete. Es plätscherte dahin wie ein träges Bächlein in der Sonne und das Plätschern würde nur einmal von der Frage unterbrochen werden, ob Olaf zufällig was zu rauchen mithabe. Im Falle einer Verneinung würde Bert mit Leidensmiene auf sein stecknadelkopfgroßes, steinhartes Bröcklein blicken und es traurig über die Tischplatte kullern lassen. Das war so peinlich, Berts Gesicht so belämmert und selbstmitleidig, so langweilig wie seine glatten dunklen Haare, die ihm über die Segelohren hingen, dass der Spargel dann möglichst schnell gehen wollte. Genauso wäre es auch heute gewesen, hätte der Bert nicht folgenden Satz ausgesprochen:
„Ich versteh gar nicht, warum du noch nicht in München warst.“
„Och, was soll ich da“, antwortete Olaf wie aus der Pistole geschossen und war sich
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