Revierkönige (German Edition)
sofort der Unsinnigkeit dieser Phrase bewusst. Sein Herzschlag pochte mit erhöhter Geschwindigkeit und er bekam Magendrücken. Er wurde auch etwas weißer um die Nase.
„München ist ne tolle Stadt. Musste dir mal ankucken.“
„Warste schomma da?“
„Lange her. Wir hatten da von der Versicherung aus drei Tage Seminar, da hab ich mir die Stadt ein bisschen angesehen. Wirklich schön. Und du hast auch noch eine Freundin da unten!“
Im Leben gibt es Dinge, die ganz einfach und selbstverständlich sind. Wenn man sie lieber kompliziert und Probleme sieht, wo keine sind, ist man doch der Gearschte. Man macht sich selber zum Idioten und die anderen kucken einen an, als wüsste man nicht, dass die Erde eine Kugel ist. Olaf Keune kriegte es einfach nicht auf die Reihe, sich in den Zug zu setzen und zu seiner Freundin zu fahren. Was der Bert sagte, wusste er schon längst. War ja völlig normal, war doch selbstverständlich. Aber das hasste er nun mal. Das Normale, Selbstverständliche war einfach zum Kotzen. Und er war feige, aber das verschwand unter der Kotze.
„Ich weiß nich, ob ich da überhaupt Bock drauf hab.“
„Wieso nicht? Du bist doch sogar mit dem Zug nach Köln gefahren, um dir ne Kunstausstellung anzusehen. Warum fährst du dann nicht mal mit dem Zug deine Freundin besuchen?“
„Das iss ja wohl was anderes. Ich weiß doch gar nich, ob die überhaupt Zeit hat und so. Platz wahrscheinlich auch nich, die wohnt in sonnem winzigen Appartement, glaub ich.“
„Mein Gott, ja und! Ich hab damals mit meiner Freundin fünf Jahre in einem 18-m²-Zimmer zusammengelebt.“
Olaf war sprachlos, schockiert. 18 Quadratmeter, das war etwa so groß wie seine Küche.
„Echt?! Das kann ich mir überhaupt nich vorstellen. Wie ging das denn?“
„Ging alles. War sogar ne schöne Zeit. Wir haben uns eben geliebt, Alter.“
Ein warmer heller Strahl traf den Spargel mitten in die Brust. Er blickte unwillkürlich nach oben. Es war wie eine Offenbarung. Liebe. Das war es. Fünf Jahre in einem 18-m²-Zimmer. Wir haben uns geliebt. Liebe. Ein Schlüssel war in der Haustür zu hören und riss Olaf aus dem Zustand der Verzückung.
„Hasna kommt. Die macht uns bestimmt was zu essen“, sagte Bert, der keine Ahnung hatte, was soeben geschehen war.
„Hallo“, rief Hasna in den Raum und warf Olaf einen Blick zu, den er wie immer nicht deuten konnte: Machte sie sich über ihn lustig, provozierte sie ihn oder verfluchte sie ihn? Sie trug einen weinroten, glockigen Rock, der ihre dürren, grau bestrumpften Waden frei ließ, und einen Anorak, der ihr etwas zu groß war. Die Kombination sah nach Altkleidersammlung aus, trotzdem trug sie diese Klüngel mit einer gewissen Würde und Lässigkeit, sogar Eleganz, wenn man genauer hinsah.
„Hey!“, machte Spargel und hob freundlich die Hand, eine Geste, die der verschlagene Ausdruck in Hasnas Gesicht überflüssig machte.
„Machst du CousCous?“, fragte Bert. Olaf hörte den unterwürfigen Ton heraus. Echt peinlich so was.
„Machst du CousCous, immer CousCous!“, maulte sie, verschwand aber in der Küche.
Bert lächelte und blickte wie verschämt nach unten. Olaf räusperte sich und sah auf seine Armbanduhr. „Schon gleich neun. Also ich muss jetzt.“
„Och, willste schon gehen? Bleib doch zum Essen“, bat der Bert und irgendwie tat er dem Spargel leid.
„Ich muss noch schnell zum Horst“, sagte er, obwohl das nicht stimmte. „Komm doch morgen mal vorbei.“ Letzteres stimmte, er meinte es wirklich so. Er wollte, dass der Bert zu ihm kam und er würde ihn auch zum Rauchen einladen, obwohl Bert nichts kaufte, und sogar das Geleiere ertragen. Außerdem – denn so uneigennützig sind wir dann doch nicht – wollte er unbedingt die Geschichte hören, die da lautete: Fünf Jahre mit meiner Freundin auf 18m² – Wir haben uns geliebt.
Er wollte nach Hause, aber nun musste er doch noch zum Horst ins Opossum, der Wahrheit zuliebe, die er dem Bert schuldig war. Er lief Richtung Nordmarkt. Nachts wirkte der Platz verwaist, es roch fremd, nach etwas, mit dem man keine Erinnerung teilte. Wenn man quer über den Platz ging, sprang einen die Melancholie an. Olaf umging ihn von der Ostseite her und versuchte, das Gefühl in seiner Brust, das noch vom Zustand der Verzückung übrig geblieben war, warm zu halten. Als er den schwarz gestrichenen Raum in der Stollenstraße betrat, wäre er am liebsten wieder umgekehrt. Am Tresen saß Frank Diepenbrock, neben ihm stand
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