Revierkönige (German Edition)
„Ja, mach ich. Kommt doch ma bei mir vorbei, dann rauchenwer was.“
Hansi nickte und setzte ein nachdenkliches Gesicht auf.
„Ihr müsst nur vorher anrufen, weil ich wissen muss wer kommt. Ich hab nämmich kein Bock, dass ma die Bullen bei mir vor der Tür stehn. Also nachmittags bin ich eigentlich immer da.“
Migge blickte irgendwo hin und ballte die Fäuste in seinen Hosentaschen. Hinter seinem Gesicht schien es zu donnern und zu blitzen, gleichzeitig bekam er diesen lustigen Blick, den er manchmal hatte, wenn er ausrastete.
Spargel hob die Hand. „Also ...“
„Man sieht sich.“
Nachdem er die ersten fünfzig Meter allein zurückgelegt hatte, überfiel ihn etwas, was er „die Unerträglichkeit“ nannte. Die Unerträglichkeit war etwas so Faszinierendes wie Schmerzhaftes, etwas dem Spargel ganz und gar Eigenes, so wie die „bitteren Mandeln“, nur dass die Unerträglichkeit einem mehr zusetzte, wenn man sie nicht rechtzeitig unter Kontrolle brachte. Sie ließ nicht mit sich spaßen und zog einen im schlimmsten Fall nach unten. Und zwar nach ganz unten, ins Schwarze, wo Falschheit, Schmerz und Abfall in lustvoller Vereinigung lagen. Kommt uns das bekannt vor? Genau. Dann wurde Angst draus, und auch der Spargel bekam richtige, echte Angst. Doch im Moment war´s noch nicht so schlimm, die Unerträglichkeit war mehr äußerlich, sie umgab ihn wie eine Wolke, die zwar das freie Atmen behinderte, aber noch genug Luft in seine Lungen ließ, damit er nicht erstickte. Während er ging, nahm er sie wahr, beobachtete sie, fragte sich, warum sie gekommen war. Es lag nicht an der Gegend, die einfach nur stinknormal war, mit stinknormalen Häusern und Straßenbahnschienen, es war seine eigene Stimmung, die umgeschlagen hatte und die sich jetzt über die ganze Straße senkte.
Über Hansi und Migge dachte er: Nichts gegen die alten Kumpels, aber manche Freundschaft erhält man sich besser auf Distanz. Das war die eine Sache, die andere hatte nur mit ihm selber zu tun und er gestand sie sich ungern ein: Er war feige. Das ärgerte ihn. Ja, er war feige. Dabei wäre er lieber mutig, ein tapferer Junge, ein selbstsicherer Mensch gewesen. Gut, dass er auf dem Weg zum Motte war. Den Motte wollte er jetzt sehen, unbedingt. Bei dem hatte man immer das Gefühl, der will, dass es einem gut geht. Der hörte auch zu und kuckte einen nicht blöd an, wenn man mal schräg drauf war. Olaf hatte ihm vor Jahren einen alten Küchentisch restauriert ohne was für seine Arbeit zu verlangen, seitdem war er beim Motte besonders gut angesehen.
Neben der Türnische Nr. 123 hatte man drei Farbproben nebeneinander gemalt: Graugrün, Ocker und ein kräftiges Gelb. Olaf klingelte bei Motzikat, zweimal kurz, zweimal lang – ein verabredetes Zeichen, obwohl Motte sowieso öffnete. Hoffentlich entschied sich der Hausbesitzer für den Gelbton. Das würde Frische in diese muffige Gegend bringen. Die Nachkriegszeit und die Schwerindustrie klebten da dran. Von der Luft kriegte man Asthma und von der Grauheit wurde man blind. – Da machte keiner auf. Das konnte nicht sein. Er klingelte wieder und wieder und wurde langsam wütend. Was war das für ein Scheißtag? Er wollte zum Motte, verdammt, der sollte aufmachen. Er schlug auf das Klingelfeld. „Jaa?“, schallte es aus der Sprechanlage, aber das war nicht der Motte. „Wer iss denn da? Reklame?“ Der Türöffner summte, aber die Tür ging nicht auf und Spargel rief „Ihr Arschlöcher!“ Aber das half auch nichts, der Motte war nicht da und war nicht da. Dann gab es nur noch eine Möglichkeit: zum Bert. Der war immer da, so wie der Motte.
Während Spargel sich zum nächsten Punkt auf seinem Schicksalsweg schleppt, ereignen sich auch woanders ein paar Begebenheiten, die überhaupt nicht der Rede wert sind. Die aber trotzdem ganz schön merkwürdig sind.
Holger Motzikat lag mit einem warmen Bier in der Badewanne. Noch schmerzte die Temperatur des grünen, nach Tannennadeln duftenden Wassers, sie hatte in etwa die Höhe für eine Verbrennung dritten Grades. Seine Zähne stießen klappernd an den Rand der angewärmten Flasche, als er einen Schluck nehmen wollte. Diesmal hatte es ihn richtig erwischt. Warmes Bier, sagt man, sei gut gegen Erkältung. Langsam entspannte er sich und schloss die Augen. Plötzlich ging die Tür ein Stück auf und der faule Kater (er hieß Fauler) kam hereinspaziert, schnupperte herum und verließ den feuchten Raum wieder. Motte spürte den Luftzug im
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