Revolution - Erzählungen
Durst, wie das Wasser ihr kühl über die Füße spritzte.
»Bist du denn ein erwachsener Mann, wenn du weinst wie ein kleines Mädchen?«
»Ich will das Fasten nicht brechen. Das bringt Schande!«, heulte ich.
»Du trinkst jetzt ein Glas Wasser. Und wenn du nicht aufhörst zu weinen, bekommst du ein Extraglas, um deine Tränen zu ersetzen, denn sonst vertrocknest du und wirst krank.«
»Ich will aber nicht!«
»Ich rede mit deinem Vater«, sagte sie mit erhobener Hand. Und ich trank das Wasser. Anderthalb Gläser – das halbe wegen der Tränen. Ich erinnere mich an das Jahr, als sie aufhörte, mir nach der Schule Wasser anzubieten. Ich saß in der Küche und wartete auf das Glas, aber es kam nicht. Eines Tages trank ich so viel Wasser aus der Toilette, dass ich mich übergeben musste. Sie sagte nichts, als ich herauskam. Aber der Blick.
Auch im Internat haben wir gefastet. Mama Hussein hat es für uns organisiert. Wir wurden um fünf Uhr geweckt – lange vor Sonnenaufgang, damit wir essen und trinken konnten. Sie lehrte uns, wie. Obst und Gemüse sind gut, viel besser als Wasser, denn die Flüssigkeit ist in komplexe Kohlehydrate gebunden, die langsam vom Magen abgebaut werden und daher über einen langen Zeitraum ihre Flüssigkeit abgeben. Tee und Kaffee sind wassertreibend – eine schlechte Idee. Nach dem Unterricht, wenn die anderen zum Mittagessen gingen, war es für uns Zeit, zu Bett zu gehen und auszuruhen. Hinterher wuschen wir uns das Gesicht und spülten den Mund, spuckten aber sämtliche Flüssigkeit wieder aus – kein Tropfen durfte geschluckt werden –, die Trockenheit der Halsröhre musste erhalten bleiben. Ich habe damals viel darüber nachgedacht, wer ich war. Ich dachte, dies sei die eigentliche Idee: sich in seine Religion und seine Beziehung zu Allah zu vertiefen, Fragen zu stellen. Damals habe ich es getan. Nicht alle sehen das so. Heute sind meine Fragen ein persönliches Anliegen, privat und nur für mich. In der Moschee in Kariakoo gibt es keinen Raum für Fragen – nur Antworten.
In der Schule war ich der Torjäger der Fußballmannschaft. Ich musste spielen – auch während der Fastenzeit. Ich war jedes Mal schweißgebadet, und es dauerte lange, bis ich trocknete. Ich habe Sterne gesehen, ich war dehydriert, mir war schwindlig. Eines Tages wurde ich in der zweiten Halbzeit ohnmächtig. Ich kam im Bett wieder zu mir. Mama Williams saß mit einem Glas Wasser neben mir. Sie hob meinen Kopf.
»Man muss trinken, wenn man krank ist«, sagte sie. Vorsichtig schob ich ihre Hand beiseite.
»Ich weiß, wer ich bin«, sagte ich.
»Bist du hochmütig?«
»Es ist meine eigene Schuld«, entgegnete ich. Sie wartete. Ich fügte hinzu: »Das Fußballspiel, das ist Ehrgeiz.« Sie ging wieder. War es Ehrgeiz? Oder nur ein Spiel? Die Mädchen an der Seitenlinie, die zusahen und uns anfeuerten; Katja – meine erste Liebe. Ich lag im Bett und wartete auf den Sonnenuntergang. Um halb sieben wurde die Mahlzeit für die Rechtgläubigen aufgetragen. Es war ein Fest, das wir zusammen feierten. Jeder Abend eine große Freude.
Bei weitem nicht alle Muslime in der Schule fasteten. Hadija kannte ich seit der Schule in Mwanza. Sie fastete nicht. Ich fragte sie, warum?
»Ich hatte ein Magengeschwür. Ich darf nicht fasten. Es ist zu gefährlich für mich.«
»Wann hattest du ein Magengeschwür?«
»Auf der griechischen Schule in Arusha. Ich stand unter Stress, weil ich von zu Hause fort war und im Schlafsaal wohnen musste. Es hat mich krank gemacht.«
Ich weiß nicht, ob ich ihr glauben soll. Viele Entschuldigungen werden vorgebracht. Einige sagen, sie könnten nicht fasten, weil sie reisen müssen. Es wird nicht verlangt, dass Reisende fasten. Jeden Tag reisen sie, vom Kijito-Haus zur Schule und wieder zurück. Andere behaupten, sie brauchen nicht zu fasten, weil sie im Internat mit Fremden zusammen sind. Und nach dem Buch soll man den Bräuchen der Fremden folgen, wenn man ihr Land besucht, um sie nicht unnötig zu beleidigen. All diese Entschuldigungen sind Lügen, mit denen die Faulheit erklärt werden soll. Wir sind nicht zu Besuch in einem fremden Land; nahezu die Hälfte der tansanischen Bevölkerung sind Muslime, obwohl die meisten an der Küste leben. Es ist ebenso unser Land.
Ja, es ist schwer, wenn man unter Christen, Hindi oder Sikhs lebt. Der Alltag ist nicht aufs Fasten ausgerichtet. Man muss seinen Verpflichtungen nachkommen, in der Schule wie gegenüber Allah. Eine harte Prüfung.
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