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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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er an den Scheinwerfern vorbeigeht, um zur Wurzel des Baums zu gelangen. Yasir kurbelt das Seitenfenster ein Stück herunter, damit wir etwas hören können. Qasim leuchtet am Straßenrand mit der Taschenlampe und dreht sich zu uns um.
    »Der Baum wurde von Menschen gefällt!«, ruft er.
    »Räuber«, murmelt Yasir. In der Dunkelheit hinter Qasim bewegt sich etwas, ein junger Mann, den Arm hoch erhoben. In der Hand hält er ein panga , das er zwischen Qasims Schulter und Hals schlägt. Qasim brüllt auf und fällt auf die Knie, die Taschenlampe fliegt ihm aus der Hand. Der Mann ist verschwunden. Niemand sonst ist zu sehen. Ein Blutstrahl schießt Qasim aus dem Hals, spritzt mit dem Regen zu Boden und vermischt sich mit dem Morast. Qasim greift sich an den Hals und versucht aufzustehen.
    »Nimm das Gewehr.« Yasir reicht mir Gewehr und Patronen. Hektisch kurbelt er das Seitenfenster herunter, starrt nach draußen. Regen peitscht in die Kabine. Qasim fällt wieder auf die Knie. Die Taschenlampe erleuchtet schwach die matschige Fahrbahn.
    »Sharif«, sagt Yasir, während er ein panga unter seinem Sitz hervorzieht. Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich, sieht mich mit aufgerissenen Augen an. »Du bleibst hier drinnen und schießt, wenn es sein muss.«
    »Ja.«
    »Du musst schießen!«
    »Ja.«
    »Sofort, wenn du etwas siehst.« Yasir öffnet die Fahrertür, steigt aus, und ich sehe ein panga von der Seite auf ihn zukommen.
    »Yasir!«, schreie ich, als sein Arm von der Klinge getroffen wird. Er brüllt, ich rutsche hastig auf den Fahrersitz und sehe einen Mann, der einen Meter von Yasir entfernt sein panga bereithält, um noch einmal zuzuschlagen. Und ich schieße – der Kopf des Mannes wird nach hinten geworfen, rot, ohne Gesichtszüge; kraftlos sackt er auf der verschlammten Straße zusammen. Ein junger Bauer. Zerrissenes Hemd, abgetragene Hose, Autoreifensandalen. Yasir hält seinen rechten Arm, ich sehe, wie das Blut zwischen den Fingern hervorquillt. Ich starre in der Dunkelheit den Lastzug entlang, dann wieder auf die erleuchtete morastige Fahrbahn, wo Qasim auf den Knien hockt; das Blut pumpt aus der Wunde an seinem Hals. Die glänzenden Blätter des Baumstamms zittern unter den Tropfen. Qasim fällt vornüber, liegt mit dem Gesicht im Matsch.
    »Qasim!«, schreie ich.
    »Er ist tot«, sagt Yasir.
    »Glaubst du, dass sie zurückkommen?«
    »Sie kommen zurück«, erklärt Yasir. »Vielleicht haben sie ganz hinten am Hänger bereits die Plane aufgeschnitten und klauen die Ladung.«
    »Vielleicht waren sie nur zu zweit, und der andere hat jetzt Angst vor dem Gewehr?«
    »Wir sind auch nur zwei.« Yasir schaut auf das Blut, das seinen Hemdärmel färbt. Ich ziehe die benutzte Patrone aus dem Gewehr, lege eine neue ein, nehme ein paar Patronen in die Hand und stecke sie in Yasirs Hosentasche.
    »Was soll das?«, fragt er.
    »Pass auf, ob jemand kommt«, sage ich und lege das Gewehr auf den Kabinenboden, damit ich es mir rasch greifen kann. Ich reiße einen Hemdsärmel an der Schulter ab. »Lass deinen Arm los und heb dein panga auf.« Er tut es. Ich binde den Hemdsärmel fest um den blutenden Schnitt an seinem rechten Oberarm. Dann greife ich nach dem Gewehr und gebe es ihm, gleichzeitig nehme ich ihm das panga aus der gesunden Hand. Yasirs Augen liegen tief in den Höhlen.
    »Du stellst dich mit dem Gewehr ins Licht und hältst dich bereit, während ich den Baumstamm wegschiebe.«
    »Du kannst ihn nicht wegschieben«, erwidert Yasir und schaut zu Boden, wobei er langsam den Kopf schüttelt.
    »Jetzt mach schon!«, fordere ich ihn auf. Er stellt sich mit dem Gewehr zwischen den Lastwagen und den Baumstamm – passt genau auf. Ich laufe an Qasim vorbei und hole die Taschenlampe aus dem Matsch, sie funktioniert noch. Mit dem panga und der Taschenlampe in den Händen gehe ich hinter die Fahrerkabine und öffne den Werkzeugkasten, der an die Karosserie geschweißt ist.
    Das Wasser auf meinem Gesicht schmeckt sauer und salzig. Die Kleider kleben am Körper. Ich greife nach einem Tau, laufe zurück zum Baum, binde es um die Krone und knote es an den Haken unter der Stoßstange. Mein Kinn bebt. Ich schlucke. Beiße die Zähne zusammen. Ziehe den Knoten fest. Yasir brüllt. Ich drehe mich um. Er steht mit erhobenem Gewehr da und brüllt. Es ist niemand zu sehen, nur die Leichen. Ich springe in die Kabine und setze langsam zurück. Das Seil strafft sich, der Baumstamm bewegt sich. Langsam ziehe ich ihn zurück,

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