Revolution - Erzählungen
Beinahe unmöglich zu schaffen, wenn man es nicht von Kindheit an praktiziert hat.
»Ich hätte gern einen Tee«, sagt Yasir, denn wir fahren auf einem Stück Straße, das beinahe perfekt ist. Qasim gießt ein, er zündet Yasir auch eine Zigarette an. Wir trinken Tee, und ich schaue auf die Wand aus Dunkelheit, die sich dicht vor den Scheinwerfern des LKW erhebt. Wir haben die Fenster geöffnet, um Luft in die Kabine zu lassen; ich sehe das Himmelsgewölbe, das uns mit seinen Sternen umschließt, bis hinunter zur Erde, auf der undurchdringliche Dunkelheit den Horizont markiert. Der Geruch von verbranntem Staub steht in der Fahrerkabine, die Scheinwerfer fegen über graugrünes Gebüsch am Straßenrand. Qasim holt eine braune Papiertüte mit Khat-Blättern heraus, Yasir fängt an zu kauen. So hält er sich die Nacht über wach. Unsere Körper werden in der Kabine herumgeworfen, wenn er abrupt manövriert.
Der Staub dringt in die Haut, die Nase, die Augen, die Kleider. Wir fallen in einen Halbschlaf.
»Sharif! Sharif!« Qasim schüttelt mich. Ich muss geschlafen haben. Die Luft ist kühl und klar. Ich schlage die Augen auf. Regentropfen auf der Frontscheibe. Draußen wirbelt der Wind.
»Es ist zu früh«, sage ich. Die Regenzeit dürfte erst in ein paar Wochen beginnen.
»Das ist schlecht«, sagt Yasir. Die Tropfen fallen einzeln, schwer. Elektrizität liegt in der Luft. Und der Himmel öffnet sich. Wir fahren in eine Wand aus Wasser, die Fahrbahn schwimmt. Yasir verringert das Tempo und beugt sich vor, um durch die pumpenden Scheibenwischer zu spähen – jedes Schlagloch ist unsichtbar und voller Wasser. Der Lastzug ist überladen. Wenn wir steckenbleiben, sitzen wir fest. Die Straße schimmert kochend schwarz im Licht der Scheinwerfer. Die Fahrbahn wird von den Wassermassen aufgeweicht. Ich beuge mich ebenfalls vor und kneife die Augen zusammen. Unweit von uns liegt etwas Mattschwarzes auf dem Weg.
»Ein Baumstamm!«, rufe ich und halte mich am Instrumentenbrett fest. Yasir schaltet herunter, bremst. Zwanzig Meter davor kommen wir zum Stehen.
»Verriegel die Türen«, sagt Yasir zu Qasim.
»Er kann durch den Wind umgestürzt sein«, sage ich, während Yasir aus dem Seitenfenster schaut.
»Das finden wir nur heraus, wenn wir nachsehen, ob der Stamm abgebrochen ist oder gefällt wurde.«
Qasim sagt nichts, es ist seine Aufgabe. Der Baumstamm liegt quer über der Fahrbahn, von dem Gebüsch auf der einen bis zum Graben auf der anderen Seite. Es ist ein junger Baum, voller Laub und Zweige, die noch elastisch sind; er ist gerade umgestürzt. Wurde er gefällt? Der Stamm ist nicht dick.
»Was denkst du?«, frage ich.
»Ist nicht sonderlich dick«, meint Qasim.
»Ich versuche, darüberzufahren«, erklärt Yasir. Er legt einen Gang ein, rollt langsam an und erhöht das Tempo. Der Baum wird größer, als wir näherkommen.
» Tsk !«, zischt Yasir und bremst. Qasim öffnet die Beifahrertür und schaltet damit das Kabinenlicht ein. »Mach die Tür zu!« Yasirs Ton ist scharf. Er stellt den Motor nicht ab. Qasim schlägt die Tür zu. Wir sitzen im Dunkeln.
»Wieso soll ich zumachen?«
»Die müssen nicht unbedingt hineinsehen können«, erwidert Yasir.
»Wer?«
»Vielleicht sind es Räuber.«
Links von der Straße stehen vereinzelte Bäume, rechts liegt ein Graben, voller Wasser.
»Drehen wir um?«, fragt Qasim.
»Die Straße ist zu schmal.« Yasir greift nach der Schrotflinte hinter dem Sitz und kontrolliert, ob sie geladen ist. Er hebt die Hand und legt den Schalter der Kabinenbeleuchtung um, damit sie sich nicht einschaltet, wenn die Tür geöffnet wird. Angespannt schauen wir aus den Fenstern, aber es ist nichts zu sehen außer Dunkelheit, strömendem Regen und Bäumen, die im Wind schwanken.
»Wie machen wir’s?«, frage ich. Qasim greift über mich und hupt. Yasir schlägt seinen Arm weg.
»Hör auf damit!«
»Wir brauchen Hilfe«, sagt Qasim.
»Hier gibt’s keine Hilfe«, entgegnet Yasir. »Hier gibt’s nur uns.« Er sieht Qasim an. »Nimm das panga und die Taschenlampe, und dann geh zu dem Baum und sieh nach, ob er abgebrochen ist oder gefällt wurde. Du rufst es uns zu. Sollte jemand kommen, stehe ich mit dem Gewehr bereit.«
Qasim antwortet nicht. Er nimmt die Taschenlampe aus dem Handschuhfach und greift nach dem panga unter dem Sitz. Öffnet die Tür und springt hinaus, während Yasir aus dem Handschuhfach weitere Patronen holt. Qasims Hemd ist erst gesprenkelt, dann dunkel vom Regen, als
Weitere Kostenlose Bücher