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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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Rückspiegel. Wir fahren parallel zur Eisenbahnlinie, die von den Deutschen mit importierten Arbeitskräften aus Indien gebaut wurde, denn damals verstanden die Neger das Prinzip des Geldes noch nicht. Es existierte nur der Tauschhandel, und die Neger wollten nicht für Papier und runde Metallplättchen arbeiten. Die Inder aber kannten Geld und Handel. So gut, dass sie nach dem Bau im ganzen Land dukas eröffneten – kleine Läden. Es war besser, als Kuli in Indien zu sein. Die Neger lernten, das Geld zu verstehen, denn Geld verschaffte ihnen den Zugang zu den interessanten Dingen in den Läden der Inder. Aber die Inder haben die Neger immer auf Abstand gehalten. Sie wollten ihr Blut nicht mit den schwarzen Menschen vermischen. Und die Inder haben auch untereinander Abstand gehalten; scharf aufgeteilt in Sikhs, portugiesisch sprechende Katholiken aus Goa, Sunniten, Schiiten und Hindus mit ihrem Kastensystem. Kleine Gruppen. Und jede dieser Kulturen entwickelte ihr eigenes Misstrauen und ihren eigenen Hass. Niemand redet miteinander oder vermischt sich innerhalb der indischen Gesellschaft. Jede Gruppe holt ihre Ehefrauen aus Indien – frisches Blut für die Landflüchtigen. Oder sie senden Ehe-Kataloge an verwandte kleine Gemeinden in Ostafrika. Ihre Türen sind verschlossen, denn alle Inder halten ihre eigene merkwürdige Kultur für perfekt. Darum sind sie so verhasst. Niemand will das, was sie haben. An den Sonntagen fahren die Inder in Dar zur Oysterbay – Männer, Frauen und Kinder. Sie sitzen in kleinen Gruppen am Strand, gehen spazieren, stehen herum. Sie versuchen, quer über den Ozean auf das verlorene Land zu starren. Ich denke: Fangt an zu schwimmen. Aber sie wollen nicht nach Indien. Alle arbeiten dafür, dass ihre Kinder in den Westen kommen – USA , England, Kanada. Afrika ist nur eine Zwischenstation.
    Die Weißen sind nicht verhasst. Alle Afrikaner wollen das, was die Weißen haben. Es ist verlockend: Auto, Kühlschrank, Radio – der Neger dreht an einem Knopf, und der Ton springt heraus. Sieht so das Paradies aus? Doch die Weißen sind falsch. Sie kommen und benutzen die Länder anderer Menschen, bis sie wieder nach Hause fahren. Sie gehören nicht hierher. Ein weißer Mann in Tansania, der hier geboren wurde, hält immer an seiner europäischen Staatsbürgerschaft fest. Er mag dieses Land nicht wirklich.
    Ich freue mich, nach Hause zu kommen. Um an den Hafen zu gehen und mir die Segelschiffe aus Sansibar anzusehen. Der Geruch des Meeres. Ich wohne bei der Familie meines ältesten Bruders im muslimischen Viertel zwischen dem Zentrum und Kariakoo, nahe der Moschee. Es gibt viele Menschen, die Arabisch sprechen; auch daheim sprechen wir nur Arabisch, damit die Kinder es lernen. Ich arbeite überwiegend im Fuhrbetrieb und bin dabei, eine Computerfirma aufzubauen. Zwei Mal in der Woche spiele ich bei den alten Herren Fußball im Gymkhana-Club, ich beteilige mich an der sozialen Arbeit der Moschee. Aber meist arbeite ich hart.
    In wenigen Tagen beginnt Ramadan. Es ist schwierig in Daressalaam. In der Bevölkerung existieren viele Religionen, und ich muss mich um meine Geschäfte kümmern, während ich faste. Wenn man zu Kunden fährt, ist das Schlimmste, anderthalb Stunden in der brennenden Sonne im Stau festgehalten zu werden. Man trocknet aus.
    Ich fing an zu fasten, als ich sechs oder sieben Jahre alt war; es war wie ein Wettbewerb unter den Kindern, wer es am längsten aushält – vielleicht habe ich im ersten Jahr im Laufe des Ramadan fünf Tage gefastet und im nächsten zehn. Kinder, die nicht fasteten, wurden in der muslimischen Schule von den anderen gehänselt. Sie waren schwach. Tagsüber schlich ich mich manchmal auf die Toilette und habe ein bisschen Wasser getrunken. Und der durchdringende Blick des Propheten traf mich direkt durchs Dach. Wenn ich zurück in die Klasse ging, meinte ich, alle müssten sehen können, wie aufgeschwemmt ich durch das unerlaubte Wasser war. Ich schämte mich bis aufs Blut. Ich hatte versagt. Ich war schlimmer als ungläubig, denn ich hatte das Unantastbare geschändet. Manchmal bestand meine Mutter darauf, dass ich ein großes Glas trank, wenn ich aus der Schule nach Hause kam. Ich weinte, schwindlig vor Durst, denn ich wollte nicht trinken.
    »Fasten ist nichts für Kinder«, sagte meine Mutter. »Das steht im Koran.«
    »Ich bin kein Kind mehr«, widersetzte ich mich und stieß zu fest an das Glas; sie ließ es zu Boden fallen und spürte mit ihrem eigenen

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