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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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ihres eigenen Fetts zusammenbrechen. Begreift er, wie falsch das ist?
    »Meine Mutter ist amerikanische Staatsbürgerin geworden, ja.«
    »Und ihr jüngerer Bruder?« Die Datenbank hat ihn auch über meinen kleinen Bruder informiert.
    »Er kam vor vier Jahren in die USA und ging direkt zum Militär.«
    »Kanonenfutter für Onkel Sam«, lacht McAllan. Ich sage nichts dazu, aber er hat Recht. Wenn du zum Militär gehst, erhält dein Arsch nach fünf Jahren automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft, vorausgesetzt, du hast noch einen Arsch.
    »Er ist in Südkorea stationiert, in der entmilitarisierten Zone, und glotzt nach Norden«, erkläre ich. McAllan nickt und erhebt sich.
    »Ich komme gleich wieder«, sagt er, geht hinaus und schließt die Tür hinter sich. Ich bleibe sitzen. Der schwarze Beamte kommt mit meiner Handtasche in der Hand und stellt sie auf den Tisch. Sie haben sie aus dem Auto geholt. Ein schneller Blick auf meine Hände, die ich im Schoß gefaltet habe – ohne Handschellen –, er sagt nichts dazu.
    »Wir wissen, dass es nicht Ihre Schuld war«, erklärt er. »Wir haben drei unabhängige Zeugenaussagen, die alle bestätigen, dass der Fahrer des roten Mazda Schuld an dem Unfall hatte. Die technischen Untersuchungen am Unfallort ergeben auch, dass Sie so hart wie möglich gebremst haben.«
    »Sind Sie sicher?« Ich kann mich nicht erinnern, gebremst zu haben, nur, dass ich auf die Lücke zusteuerte. Weg.
    »Ja«, sagt er.
    Ich seufze. Ich würde den Polizeibericht nach Hause geschickt bekommen, verspricht er. Und ich könnte einen Zivilprozess gegen den Fahrer des roten Mazda anstrengen. Meinen Wagen soll ich innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden abholen, anderenfalls würde er entfernt und beschlagnahmt, und dann kostet die Herausgabe Geld.
    »Okay.«
    »Sie sind frei, Sie können jetzt gehen.«
    Ich erhebe mich vorsichtig, greife nach meiner Handtasche.
    »Danke«, sage ich, stehe regungslos da und starre auf seine Uniform, seine Haut. Mir wird klar, dass er mich mehr erschrickt als der Weiße – die Polizei in Tansania steht in dem Ruf, ziemlich brutal zu sein.
    »Hier entlang«, sagt er, hält mir die Tür auf und weist auf den Flur. Ich gehe an ihm vorbei, unter Leuchtstoffröhren den Flur entlang. Ich bin außerstande, stehenzubleiben und zu fragen, ob ich mal telefonieren darf. Ich schaue mich nach McAllan um, aber er ist nirgendwo zu sehen. Ich passiere die Schranke und bin aus dem Revier. Es ist dunkel. Die Luft ist kalt und klar. Ich finde eine Haltestelle und steige in einen Bus, aber es ist die falsche Richtung. Ich steige wieder aus. Ich studiere den Busfahrplan, der unter einer schwachen Birne an der Haltestelle hängt. Ich verstehe ihn nicht. Ich schaue in meine Tasche. Die Zigaretten und das Feuerzeug sind da. Mir wird bewusst, dass ich kein Bargeld mehr habe. Ich stehe an einer Straße mit dunklen Bürogebäuden. Hier kommt kein Taxi vorbei. Es ist spät. Es gibt so gut wie keinen Verkehr. Keine Läden und keine Geldautomaten. Ich meine, die Richtung zu kennen. Ich laufe. Es ist wie in Afrika: Die Nacht ist dunkel, es gibt keine Bürgersteige, nur harte Erde mit Grasbüscheln. Hinter mir leuchtet die Bushaltestelle. Ich bleibe stehen und schaue in die Dunkelheit. Drehe mich um. Gehe zurück zu dem kleinen Lichtkreis der Bushaltestelle. Und beginne zu schluchzen. Anfangs versuche ich es zu unterdrücken, aber es ist stärker als ich. Ich schluchze und schniefe heftig, ich flenne. Ich glaube, ich kann wieder schwanger werden. Und ich habe eine Stelle als Ärztin in der Kinderabteilung – genau, was ich mir gewünscht habe –, in zwei Wochen soll ich anfangen. Meine Schultern beben. Ich bin ganz allein, verberge mein Gesicht in den Händen und weine. Ich muss damit aufhören. Weshalb weine ich? Wegen meines Vaters, der sterben könnte, ohne mich noch einmal gesehen zu haben? Wegen des demolierten Autos? Wegen meiner Tochter? Wegen meines Verdachts: Wenn ich nach Gottes Ebenbild geschaffen bin, wer ist dann Gott? Wenn Gott Macht hat, dann hat er eine Macht wie ich. Weder mehr noch weniger. Dann ist Gott klein.
    Ein Wagen kommt langsam auf mich zu und hält an der Bushaltestelle. Das Geräusch einer sich elektrisch absenkenden Scheibe auf der Beifahrerseite. Ich richte mich auf.
    »Sind Sie okay?«, fragt eine Frauenstimme – ich höre, dass sie schwarz ist.
    »Ich war in einen Autounfall verwickelt«, sage ich und schaue auf. Ich kann sie in dem dunklen Wagen nicht

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