Revolution - Erzählungen
Sigve geraten, sich eine lange Hose anzuziehen, weil die Sonne heftig sticht, wenn sie zusätzlich von der Wasseroberfläche gespiegelt wird. Sie trägt einen Sturzhelm, und ich sehe im Rückspiegel, dass ihr blonder Pferdeschwanz wie eine Fahne hinter uns weht.
Eigentlich sollte ich jetzt in meiner Werkstatt in Arusha auf Fehlersuche sein – im elektrischen System des Range Rovers einer englischen Safarigesellschaft, die am Montag Gäste erwarten. Die Aircondition des Wagens läuft nur, wenn das Fernlicht eingeschaltet ist, und keiner meiner Jungs kennt sich mit Elektrik aus. Ich muss das in der Nacht zum Montag erledigen. So habe ich auch Sigve und ihren Mann kennengelernt. Die Zylinderkopfdichtung ihres Nissan Patrol fiel fast auseinander, und Tore war nicht sicher, ob der Wagen es noch bis Chuni Motors in Moshi schaffen würde. Es war spät, und eigentlich sollte ich zu meiner Mutter in die Lodge zum Essen kommen. »Du wurdest mir empfohlen«, hat er gesagt. »Sie nennen dich den Zauberer.« Ich war nicht auf Überstunden eingestellt – trotz der Schmeichelei. Normalerweise lebe ich davon, Autos für Safarigesellschaften zu reparieren und umzubauen; außerdem kaufe ich Schrottkisten auf, repariere sie und verkaufe sie weiter. Ich habe ein kollegiales Verhältnis zu Chuni, ich will ihnen nicht ihre Kunden wegnehmen.
Als Sigve aus dem Wagen stieg, nahm ich als Erstes ihre langen hellen Beine wahr. Dann folgte der Rest.
»Man hat mir erzählt, du könntest einen Land Rover-Totalschaden mit einem zerknallten Motorrad paaren, und heraus käme ein funktionstüchtiges Fahrzeug«, sagte der Mann. Sie lehnte hinter ihm an der offenen Tür des Nissan. Ich wünschte, ich könnte mehr als das. Sie lächelte mich an. Er sah aus, als wäre er ungefähr zehn Jahre älter als sie. Sie sah aus, als wäre sie in meinem Alter. Wie das so ist in Afrika, wenn Weiße sich treffen, erfuhren wir im Laufe der Stunde, die die Reparatur dauerte, eine Menge voneinander: Er ist Arzt, sie Anästhesieschwester – vor sechs Monaten nach Tansania gekommen, aus Norwegen. Verheiratet, noch keine Kinder. Während ihrer Ausbildung war Sigve zwei Monate in Moshi als Praktikantin im KCMC gewesen. Sie hatte sich in das Land verliebt.
»Den größten Teil der Zeit habe ich Patienten Salzwasserlösungen gespritzt«, erzählte sie.
»Wieso?«, fragte ich, den Oberkörper unter der Motorhaube.
»Weil Tansanier verrückt nach einer injection sind – es geht ihnen dann gleich besser.«
Ich drehte mich um. »So geht’s mir auch«, sagte ich und zwinkerte ihr zu. »Aber zum Hexendoktor gehe ich trotzdem, nur zur Sicherheit.«
Direkt vor Moshi kommen wir an der Abfahrt nach Majengo vorbei – ob Sigves Mann dort seine malaya findet? Er wird schon noch klüger werden, aber vermutlich dürfte es noch eine Weile dauern.
Die Krone des Kilimandscharo liegt zur Linken, verhüllt in Wolken. Wir fahren zur Road Junction und biegen auf die Straße in Richtung Süden nach Tanga und Daressalaam. Passieren unzählige ausgetrocknete Flussbetten. Das Motorrad läuft gut auf dem Asphalt. Es ist Samstag, es herrscht kein sonderlich dichter Verkehr. Vereinzelte Busse und riesige Isuzu-Laster rumpeln über die Straße – ihre Karosserie hat abgerundete Formen, wie bei den alten amerikanischen Straßenkreuzern. Der Motor und die tragende Konstruktion werden aus Japan importiert, doch die Karosserie und die Ladefläche werden in Tansania gebaut. Dabei verwenden sie viel zu dicke Eisenplatten, die die Fahrzeuge unnötig schwer werden lassen, so dass sie ein instabiles Fahrverhalten zeigen, wenn sie überladen sind – und das sind sie immer. Viele dieser Lastwagen sind durch Verkehrsunfälle verzogen und hängen schief über der Fahrbahn, und ihre nie gewarteten Motoren spucken schwarze Dieselwolken aus. Überholt man, geben sie Gas, auch wenn ein Fahrzeug entgegenkommt – der Stärkere gewinnt. Meine Maschine ist eine 350 Kubik Bultaco, ein spanisches Motorrad. Die Gangschaltung ist speziell für Bergfahrten eingestellt, aber sie beschleunigt auch in der Ebene noch schnell genug, um zurechtzukommen. Ich darf ohnehin nicht so schnell fahren, wenn Sigve dabei ist.
Nachdem ich damals den Zylinderkopf geflickt hatte, rief ich einige Tage später einen einheimischen Arzt an, den ich im KCMC kenne, und ließ mir ihren Dienstplan geben. Ich fuhr hin. Traf sie wie zufällig auf dem Flur. Erzählte, dass einer meiner Jungs mit einem zerschmetterten Bein hier läge – die
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