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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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Kette eines Krans sei gerissen und der Motorblock heruntergeknallt. Ich wollte ihn besuchen. Tatsächlich hatte ich Ngana gerade zufällig in einem der Krankenzimmer gesehen; er war Gelegenheitsarbeiter in einem mobilen Sägewerk am West-Kilimandscharo, ihm war eine Zypresse aufs Bein gefallen. Ich gab meinem Freund, dem Arzt, Geld, und der Junge bekam eine anständige Pflege. Ich besuchte ihn häufig. Immer, wenn Sigve Dienst hatte. Als ich beim nächsten Mal kam, hatten die Ärzte sein Bein direkt unter dem Knie abgeschnitten, weil eine Entzündung und Fäulnis sich in der Wunde festgesetzt hatten.
    »Ärgerlich, die Sache mit dem Bein«, sagte ich.
    »Die haben das mit einer speziellen Motorsäge für Knochen gemacht«, erzählte der Junge begeistert. »Die weiße Dame gab mir eine ganz besondere Betäubung. Ich konnte hören, wie die Säge mein Bein abschnitt, hatte aber keine Schmerzen.«
    Ich besuchte den Mann, der künstliche Glieder herstellt. Er kam ins Krankenzimmer und sah sich den Beinstumpf an.
    »Ich kann dir ein Bein aus Plastik und Stahl geben«, sagte er.
    »Kann ich damit Fußball spielen?«
    »Ja, es ist ein sehr gutes Bein. Damit spielst du wie ein Traum.«
    »Ausgezeichnet. Ich war nie besonders gut beim Fußball«, erwiderte Ngana grinsend.
    »Na, hör mal!«, rief ich.
    »Aber wir müssen noch warten«, sagte der Mann. »Erst muss die Wunde ausheilen.«
    Ich überlegte, ob Ngana Mechaniker oder Fahrer werden könnte – ob es möglich wäre, mit dem künstlichen Bein eine Kupplung zu treten. Vielleicht könnte ich ihm Arbeit besorgen.
    Ngana sah mich abwartend an. Ich setzte mich auf einen Stuhl, mit dem Rücken zu den anderen Betten, und beugte mich vor.
    »Bekommst du genug zu essen?« Der Junge sah abgezehrt aus.
    »Das Essen ist nicht gut.« Nein, im KCMC kann man an Mangelernährung sterben.
    »Du kannst dir drüben in der Kantine der Angestellten etwas kaufen«, sagte ich, zog ein paar Scheine aus der Brusttasche meines Hemdes und hielt sie ihm hin. Er griff danach. Ich hielt sie fest. »Du gibst es nicht deiner Mutter, wenn sie kommt.«
    »Meine Mutter ist tot.«
    » Pole «, sagte ich und ließ los. »Was ist passiert?«
    »Sie saß auf der Ladung eines Leiterwagens mit Holzstämmen, als die verrutschten. Sie wurde eingeklemmt – kwisha « – vorbei.«
    » Pole «, sage ich noch einmal.
    »Ich bin fertig mit den Bäumen. Sie versuchen, meine ganze Familie zu ermorden.«
    »Und dein Vater?«
    »Er kommt mich nicht besuchen. Nur wenn du ihm erzählst, dass ich Geld habe.« Ngana lächelt.
    Unter uns summt das Motorrad. Die kurze Regenzeit hat begonnen, die Büsche fangen an, grün zu werden. Schon bald erreichen wir die ersten Ausläufer der North Pare Mountains, die stellenweise vom Schatten der Baumwollwolken gebadet werden. Die Hügel erheben sich hinter einer flachen, von Gebüsch bedeckten Ebene, aus der große Felsstücke ragen. Bei Kifaru wird die trockene Landschaft ein kurzes Stück von einem Sumpf mit kleinen buschigen Palmen und Schilfgras abgelöst.
    »Wieso sieht das hier so aus?«, schreit Sigve.
    »Das Grundwasser dringt bis an die Oberfläche!«, schreie ich zurück.
    Wir kommen nach Mwanga, wo ich an einer Agip-Tankstelle halte und tanke. Sigve reicht mir eine Tube mit Sonnencreme und hält ihren Pferdeschwanz hoch, damit ich ihr den Nacken einschmieren kann.
    Den Fluss entlang – eine Unmenge gigantischer Mangobäume und Kokospalmen, die in diesem Teil des Landes sonst eher selten sind. Hinter der Stadt breiten sich Sisalplantagen über das sanft-hügelige Land am Fuße der Berge aus. Sisal, so weit das Auge reicht. Der Export ist nahezu zusammengebrochen, der gesamte westliche Markt wird von Kunstfasern dominiert. Die Leute fällen die fünf Meter hohen Blütenstände, die aus der Mitte der Sisalpflanze wachsen – sie sind dick wie ein Arm und werden als Brenn- oder Baumaterial verwendet.
    Die schwarzen Krankenschwestern des KCMC wurden unbewusst zu meinen Mithelfern. Es war verblüffend einfach. Tore verfiel dem fließenden Rhythmus ihres träge wogenden Gangs. Ihren Kurven unter den dünnen weißen Baumwolluniformen, der Nähe im Operationssaal, dem Duft nach Kokosöl, Vaseline und frischem Schweiß. Dem Spiel ihrer Augen über den weißen Gesichtsmasken, wenn das Skalpell seine Blutspur zog.
    Ich begegnete Sigve eines Tages, als ich Ngana besuchte. Sie sah müde aus.
    »Lass uns eine Zigarette rauchen«, sagte sie und wies mit einer Handbewegung auf den Innenhof

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