Revolution - Erzählungen
Nasser bis zur sudanesischen Grenze. Wir schlafen mit all den anderen Reisenden an Deck. An Bord gibt es ungefähr fünfzehn Weiße – ein paar von ihnen haben wir bereits auf der Fähre von Zypern getroffen. Mitten in der Wüste gehen wir an einem Strand an Land. Es gibt nur Wüste und ein paar Schutzhütten aus Holz, in denen die Einheimischen Tee verkaufen. Wir setzen uns auf die Stühle an den kleinen Tischen und bestellen Tee; ein Mann kommt und serviert und … nichts. Kein Theater, kein Ärger, keine Bauernfängerei. Nur eine freundliche Bedienung und nette Menschen. Keiner sieht mich böse an. Und als wir bezahlen wollen, winkt er ab.
»Nein, nein, nein, er dort drüben hat bezahlt«, sagt der Kellner und zeigt auf einen der Einheimischen. Unsere Augen werden groß, die Kinnlade fällt uns hinunter.
»Was ist hier los?«, frage ich Jacques. »Und er ist nicht mal gekommen und hat irgendwas von uns gewollt …?«
Und dann fährt so eine kleine Bimmelbahn vorbei, total süß – so ein kleiner Puff-Puff-Zug aus Plastik, den sie in Ungarn gekauft haben. Ich weiß nicht, warum der so klein ist; ich weiß auch nicht, ob die Menschen in Ungarn so klein sind. Aber die Sitze sind winzig, alles ist klein und aus Plastik. Der Zug fährt an der Anlegestelle ab, und wir sind sechsunddreißig Stunden unterwegs, bis wir irgendwo mitten zwischen dem Lake Nasser und Khartum sind.
Ich muss pinkeln und gehe zum Mittelgang, an dem sich die Toiletten befinden. Und dort steht er, ein nackter, pechschwarzer Mann mit einem dreckigen, an der Schulter verknoteten Tuch und einem langen Speer. Er steht da wie eine Statue und guckt aus dem Fenster. Ich bleibe stehen. Er hat eine Reihe Narben auf der Stirn – eine Art Stammestätowierung. Ich bin ein wenig erschrocken und staune ihn an – ich stehe einfach nur da und glotze meinen ersten Stammeskrieger an; bestimmt steht mein Mund offen. Er dreht mir unendlich langsam den Kopf zu und schaut mir direkt in die Augen. Und dann lächelt er einfach, ein großes breites Lächeln, und ich habe mich Hals über Kopf in Afrika verliebt. Das ist ein richtiger Mann. Ja, zum Teufel, bist du verrückt, das ist etwas anderes als Ägypten. Er ist ganz einfach und geradeheraus. Er braucht nichts von mir. Das ist toll.
Wir steigen an einer Station aus und fahren über Port Sudan am Roten Meer weiter bis Suakin, das früher einmal eine rege arabische Handelsstadt war, aber vor dreißig Jahren aufgegeben wurde. Die Stadt ist total verlassen, es liegt kaum noch ein Stein auf dem anderen, nur noch Fundamente und ein paar Ruinen. Alles haben der Wind und das Wetter weggewischt. So etwas sieht Jacques sich gern an. Dinge, die zu Bruch gegangen sind. Auch am Mittelmeer sollten wir tauchen und uns die Ruinen unter der Wasseroberfläche ansehen. Ich weiß nicht – na ja, ist ganz lustig, aber eigentlich finde ich’s nicht wirklich interessant. Hinter Suakin gehen wir in die Wüste, und plötzlich steht da so eine runde Mauer. Unmotiviert mittendrin. Jacques hebt mich hoch, damit ich drübergucken kann. Ein Meer von Kamelgesichtern glotzt mich direkt an. Sie geben keinen Ton von sich. Es sind Hunderte. Und sie haben die liebevollsten Augen und unglaublich süße Gesichter, wenn man sie von vorn ansieht. Ich sehe keinen Menschen. Menschen bekomme ich erst später zu Gesicht, denn die ganze sudanesische Wüste nördlich von Äthiopien ist Kamelland. Die Kamele der arabischen Welt werden hier gezüchtet, und der Stamm der Kamelzüchter hat ein ganz eigenartiges Aussehen. Nach und nach wird mir klar, dass in Afrika alle zu einem Stamm gehören, und dass jeder dieser Stämme einige sehr starke und wichtige Charakteristika aufweist. In einigen Stämmen sind die Menschen klein und breit, andere sind schmächtig und tragen eine bestimmte Frisur oder haben eine andere Besonderheit. Die Kameltreiber und -züchter sind kleine, helle arabische Typen – überhaupt nicht negroid. Kleine zähe Männer mit dreadlock-artiger Pagenfrisur. Sie laufen mit einem staubigen weißen Tuch herum, das sie sich um die Hüften geschlungen haben, der Oberkörper ist mit einer kleinen Weste bekleidet, und auf dem Kopf tragen sie einen Turban – wie in Tausendundeiner Nacht. Außerdem haben sie alle ein großes Schwert und eine gewaltige Peitsche. Viele tragen auch ein langes Gewehr und Patronengürtel, die ihnen über die Schultern hängen.
Hunger
Von Port Sudan fahren wir weiter nach Khartum, und dort sitzen wir erst einmal fest.
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