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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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Geschichten über seine kleine Frau, die auf ihn in Kenia wartet, dass er herzkrank sei und ihm seine Medikamente fehlen. Eine totale Lüge. Er behauptet, Florian würde Österreichs Präsident Kurt Waldheim kennen, und es sähe für Idi Amin nicht sonderlich gut aus, wenn Waldheim von ihrer Situation erführe. Der englische Professor meint, allein der Brief sei als Todesurteil ausreichend gewesen. Die beiden hätten Idi Amin niemals auf ihre Existenz aufmerksam machen dürfen, zumal Kurt Waldheim Idi vollkommen egal war, jedenfalls hatte ihm nichts und niemand zu drohen. Der Professor glaubt, dass sie nach diesem Brief ziemlich schnell hingerichtet wurden. In dem Brief an Idi berichtet Jacques, dass Florian und er bei schönem Wetter nach Kampala gekommen sind. Sie waren zum Victoriasee gefahren, hatten gebadet und sich gesonnt, dann schliefen sie am Strand ein. Allerdings trat nach Sonnenuntergang beziehungsweise nach acht Uhr ja das Ausgangsverbot in Kraft, daher hatten sie versucht, per Anhalter zurück in die Stadt zu kommen. Ein paar Offiziere griffen sie auf und sperrten sie ein, weil sie das Ausgangsverbot missachtet hatten. Seither saßen sie in den Zellen des Informationsministeriums.
    Wären sie bloß ein wenig vorsichtiger gewesen und zu Fuß gegangen und hätten sich dabei hinter Büschen und Bäumen versteckt – hätten sie sich doch nur klargemacht, wie gefährlich die Situation war. Aber Jacques … ich glaube, als ich mit ihm zusammen war, habe ich besser auf uns aufgepasst, weil ich größere Angst hatte. Doch er hatte seine Todessehnsucht, und gleichzeitig gab es niemanden, der über ihn bestimmen sollte.
    Trotzdem stelle ich mir immer wieder vor, dass Jacques der Geheimpolizei Ugandas diesen Brief untergeschoben hat, das sähe ihm ähnlich. Ständig war er so total ausgekocht. Vielleicht ist das seine kleine Rache mir gegenüber – ich soll glauben, er wäre tot, dann würde ich ihn umso mehr lieben, oder was weiß ich. Seine Denkweise ist so verquer und so abgefahren, dass alles wahr sein könnte.
    An einem Dienstag bekomme ich einen zerknitterten Brief voller Adressstreichungen und Aufklebern. Er ist vor acht Monaten aus Tansania abgeschickt worden. Pierre. Seit ich ihm schrieb, bin ich zweimal umgezogen, sein Brief war an vielen Orten gestrandet. Aber soweit ich ihn verstehe, ist es nicht der erste Brief, den er mir geschrieben hat. Er begreift nicht, warum ich nicht antworte. Ich schaue Anton an, der meine Brustwarze im Mund hat. Pierre soll seine Antwort bekommen. Ich verkaufe all meine Sachen, kratze mein Geld zusammen und kaufe ein Ticket nach Tansania. Anton kommt umsonst mit.

Baby Naseen

»Du musst tüchtig essen, Baby.« Mutter steht am Herd, dreht uns den Rücken zu und gart in einem Topf mit siedendem Öl Kekse. Es duftet nach Kardamom und Nelken. Ich stochere im Essen herum und betrachte ihre Rückenpartie, die der Sari freilässt: Fettgirlanden fallen wie ein Faltenwurf, die Wirbelsäule ist die Mittellinie eines bleichen Bühnenvorhangs, der aussieht wie aufgegangener Teig. Sie ernährt sich von Keksen und Frittiertem. Sie sagt, was sie sagt, und sie sagt es noch einmal: »Werd nicht frech, Naseen. Rede anständig, sitz anständig, lächele. Nimm dir deine große Schwester zum Vorbild. Und jetzt iss tüchtig, Baby.«
    Tüchtig essen heißt mehr essen. Ich bin dünn. »Das liegt an dem ganzen Sport«, sagt Mutter und schüttelt den Kopf. Wir haben an der Internationalen Schule nachmittags Sport, es ist obligatorisch. Sie glaubt, ich sei deshalb so dünn.
    Wir treffen uns im Sari und mit hochhackigen Sandalen zum Tennis. Die dicke Sally aus den USA soll uns unterrichten.
    »Kommt schon, Mädchen«, sagt sie.
    Wir bleiben stehen.
    »Wo sind eure Tennisschuhe?«
    »Wir haben keine Tennisschuhe«, sagt Parminder.
    »Warum nicht?«, will Sally wissen.
    »Wir sind keine Tennisspielerinnen«, erwidert Parminder. Sally sagt nichts. Sie holt die Schläger. Parminder ist das hübscheste Mädchen der Schule. Sie ist eine Sikh und beherrscht sämtliche Inderinnen, obwohl die meisten von uns Hindus sind. Wir wollen keinen Sport, es hat keinen Sinn. Wir sind Damen. Wenn der Tennisball die Hände trifft, können die Nägel abbrechen.
    Wir stehen unter einem Baum im Schatten. Ich sehe einem Passagierflugzeug nach, das den Gipfel des Kilimandscharo hinter sich lässt und weiter in Richtung Norden fliegt – vielleicht nach England, wo ich eigentlich leben müsste. Sally gibt jedem Mädchen einen

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