Revolution - Erzählungen
Schläger. Sie teilt uns paarweise ein. Ich habe Pech und bekomme Samantha als Partnerin, ein weißes Mädchen, das zwei Klassen über mir ist. Samantha triff jedes Mal; sie schlägt den Ball hart und hoch, so dass er über den Zaun und die Fußballplätze fliegt und zwischen den Bäumen landet. Dann lässt sie ihren Schläger mit einem klappernden Geräusch auf den Asphalt fallen, schlendert zur Öffnung im Zaun und geht langsam den Ball suchen. Sie trägt ein strammes T-Shirt ohne BH , und ihre Shorts sind so kurz, dass es regelrecht abstoßend aussieht.
Hohe Absätze, Sari, Tennisschläger. Davon wird man nicht dünn, höchstens gereizt. Wir sind Hindus und Vegetarier. Das Gemüse kann gekocht, gebraten oder in Öl gegart werden. Ich bin dünn, weil Mutter mich nervös macht. Vater macht mich nervös, die Schule macht mich nervös, die Schwarzen, die Wirtschaft, die Zukunft – alles macht mich nervös.
Und meine älteste Schwester Sabita macht mich auch nervös. Sabita beendet in wenigen Monaten die Schule, und jeden Tag, wenn wir nach Hause kommen, ruft sie Mutter zu: »Ist Vater auf der Post gewesen? Ist es gekommen?« Sie wartet auf einen Ehekatalog aus Kenia, voller Fotos und Informationen über potentielle Ehemänner, die Hindus sind, unserer Kaste und möglichst sogar unserer Familie angehören, wie weit entfernt sie auch verwandt sein mögen – das wäre am besten, denn dann ist davon auszugehen, dass sie die Frauen ordentlich behandeln. Der Katalog ist noch immer nicht gekommen.
Sabitas Fotos zirkulieren in Tansania bereits seit einem halben Jahr, zusammen mit den Informationen über Sabitas Ausbildung, ihre Interessen und unsere Sippe. Die Fotos wurden von dem indischen Fotografen in Moshi gemacht, der Sabitas Gesicht retuschiert hat, so dass man ihre unreine Haut und die kleinen Haare nicht sieht, die wir erst nach der Hochzeit abrasieren dürfen. Es gab durchaus Freier aus unserer Gemeinschaft in Tansania, denn Sabita ist sehr hübsch. Aber meine Eltern waren nicht zufrieden mit ihnen, deshalb warten wir jetzt auf Kenia.
Wir wohnen in einer Wohnung an der Rindi Lane, die zum guten Viertel von Moshis Innenstadt gehört. Nach dem Tod meines Großvaters hat Vater dessen Baufirma übernommen. Er hat immer viel zu tun, denn es ist schwer, in Tansania Geld zu verdienen. Und wir Mädchen dürfen nicht aus dem Hause, denn ein anständiges Hindumädchen geht nicht in die Stadt.
Ich bin die Jüngste, vierzehn Jahre alt, und die Familie nennt mich Baby. Meine älteste Schwester Sabita ist neunzehn, Padma siebzehn Jahre alt. Sabita soll bald verlobt werden. Nach ihnen kommt mein Bruder Badri – er ist fünfzehn und Vaters Augenstern. In unserer Kultur will man Söhne, denn nur Söhne führen die Sippe des Vaters weiter. Die Kinder einer Tochter gehören zu der Familie, in die sie verheiratet wurde. Sabita behauptet, dass Vater fast einen Schlaganfall erlitt, als ich geboren wurde – noch ein Mädchen.
»Du kamst heraus, und Mutter begann zu weinen. Und als Vater hereingerufen wurde, guckte er dich nur einmal an und ging, ohne ein Wort zu sagen. Er kam erst zwei Tage später zurück, seine Kleider waren schmutzig, und er roch.«
Ich glaube kaum, dass Sabita sich an irgendetwas erinnern kann – sie war damals erst fünf.
Die Aussteuern meiner großen Schwestern sind ein Aderlass für Vater. Es wird kaum etwas für mich bleiben. Vielleicht darf ich ja eine Ausbildung beginnen. Ich hätte Lust dazu. Ich möchte gern in den Westen – weg von hier. Anderenfalls müsste ich einen schlechten Mann heiraten, der keine Mitgift will, sondern lediglich eine Maschine, die ihm Söhne gebiert und Essen kocht.
Mutter weiß, dass sie keine Kinder mehr bekommt, obwohl sie sich einen Nachzügler wünscht. »Er fasst mich nicht mehr an«, jammert sie am Telefon ihrer kleinen Schwester in Kanada vor, während ich mucksmäuschenstill auf dem Balkon sitze und horche. »Na ja, ich glaube, er vergnügt sich in der Stadt mit …« Mutters Redestrom wird von Tränen und Schluchzen unterbrochen – sie bringt es nicht fertig, es laut auszusprechen. »Mir geht es schrecklich«, jammert sie in den Hörer.
»In deiner Mutter sind doch nur Mädchen«, sagt Vater zu meinem großen Bruder Badri. »Aber du musst eine Frau finden, die dir Jungen gebiert.« Badri nickt und isst Kekse. Mutter verwöhnt ihn. Er ist dick und aufdringlich, macht nie seine Hausaufgaben und bekommt schlechte Noten. Aber er ist der Sohn und wird die Baufirma
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