Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Riley«, sagt sie, »freut mich, Sie endlich kennenzulernen. Sie haben ’ne Menge Fans in der Pathologie.«
»Ach ja?« Ich schenke ihr mein nettestes Lächeln. »Die haben dann wahrscheinlich keine Ahnung, wie wenig ich ein Fan der Pathologie bin.«
»Ich verrate Ihnen was«, flüstert sie. »Wir wissen das alle ganz genau.«
Ich muss grinsen. Mann, finde ich die gut.
»Ich heiße Bettina Kirschtein«, sagt sie.
»Danke«, sage ich und kann gar nicht aufhören, debil zu grinsen. Es passiert mir selten, dass ich von jemandem so schnell so hingerissen bin.
»Freunde sagen Betty«, sagt sie.
»Rauchen Sie, Betty?«
Sollte ich etwa anfangen, mir Freunde zu suchen?
»Manchmal«, sagt sie, »na ja, eigentlich immer.«
Und dann gehen wir raus und rauchen eine, und sie holt einen Apfel aus ihrer Tasche und isst ihn zur Zigarette. Sie sagt, sie mache das immer so. Und sie sagt, es sei völlig in Ordnung, wenn man die Pathologie scheiße findet.
In einer halben Stunde wird das Heimspiel angepfiffen. Carla und ich treffen uns wie immer in der Südkurve, sie hat das Bier, ich die Zigaretten. Sie trägt ihre Frühlingsmontur, schwarzes Piratenkopftuch statt brauner Wollmütze, Totenkopf-Sweatshirt statt dicker Jacke und Millerntorschal.
»Ist das nicht ein bisschen kalt für neunzig Minuten?«, frage ich sie.
»Quatsch«, sagt sie, »es hat mindestens zwölf Grad. Los, Kippe her.«
»Bier her«, sage ich, und wir nehmen einen schnellen Gefangenenaustausch vor. Zu unseren Füßen ist das Spielfeld, am anderen Ende die Nordkurve mit den Modefans, und dahinter erhebt sich der alte graue Bunker in den Abendhimmel. Das Flutlicht heuchelt Beleuchtung, und aus den kaputten Lautsprechern scheppert schrecklicher Schweinerock. Im Grunde ist es furchtbar, aber wir lieben es. Es ist so ehrlich. Und wir haben jetzt schon schlechte Laune, wenn wir dran denken, dass in diesem Sommer in Deutschland eine Fußballweltmeisterschaft stattfinden wird. Erstens werden deshalb Stadien zu Arenen umgebaut, damit solche Schnösel wie Ronaldinho es auch schick haben, und dann wird die Blutgrätsche endgültig von der Rasenheizung verdrängt worden sein, was zumindest Carla und ich schlimm finden. Und zweitens wird Franz Beckenbauer einen Deal mit Gott einfädeln, und der geht so: vier Wochen Bombenwetter während der WM, dafür die nächsten drei Jahre kein Sommer. Ich weiß, dass das passieren wird. Na ja. Schwamm drüber.
Die Spieler machen sich warm, ich finde, dass wir das auch tun sollten, und trete von einem Fuß auf den anderen. Carla und ich haben selbstverständlich unsere Lieblinge. Ich mag den großen Mittelfeldspieler mit der Nummer 17, der ist nämlich ein Kollege. Ein junger Kriminalkommissar, der gut genug kicken kann, um neben seinem Vertrag bei der Kripo auch noch einen beim örtlichen Drittligisten zu haben, und wenn er ein Tor schießt, brüllt der ganze Rotlichtbezirk den Namen eines Bullen. Carla findet den jungen Verteidiger mit der Rückennummer 14 gut. Sie sagt, der würde »immer so charmant den Gegner umhauen«. Den Torwart finden wir beide schwierig. Er kommt aus dem tiefsten Bayern, und ich halte ihn für einen unterbelichteten und chronisch überschätzten Langweiler, der wegen mir endlich seine Handschuhe an den Nagel hängen könnte. Carla sagt, er sei ein beschissener Angeber ohne Manieren. Der Sozialhilfeempfänger, der immer neben uns steht, sieht es sportlich: »Die unhaltbaren Dinger, die hält er. Aber die ganz normalen, die lässt er grundsätzlich durch. Ich versteh das nicht.«
Er versteht so einiges nicht. Neulich fragte er mich in der Halbzeitpause, wie es denn angehen könne, dass seine Frau jetzt mit einer Prostituierten aus Billstedt durchgebrannt sei, nur weil er ab und an mal ein bisschen mit dieser kleinen Russin rumgemacht hätte. Ich konnte ihm da leider auch nicht weiterhelfen. Aber weil man sich eben mag, wenn man seit Jahren wortkarg nebeneinandersteht, machte mich die Sache mit seiner Frau auch einigermaßen traurig.
Carla feuert unsere Jungs schon mal an. Sie findet, dass sie auch beim Warmmachen Unterstützung brauchen. Sie würden dann ganz anders in die Kabine gehen, sagt sie. Ich beschäftige mich vor dem Spiel immer damit, mir die verdrehten Ultras in der Gegengerade anzuschauen. Die nutzen die Zeit, um sich einzusingen, sich volllaufen zu lassen und sich gegenseitig die wilden Transparente zu zeigen, die sie dann gleich ausrollen werden. Ich kann noch nicht entziffern, was
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