Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
dem Faller mitnehmen lasse.
Ich stehe ein bisschen verloren in dem Gewusel rum und weiß nicht so recht, wohin mit mir. Ich habe das Gefühl, zu stören, mit den beiden Toten in meinem Kopf. Als würde allein meine Anwesenheit die Kollegen daran hindern, sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Als wäre ich ein wandelnder Vorwurf, ein blödes, störendes Mahnmal für zwei kleine Leute aus dem Rotlichtmilieu. Ehrlich gesagt: Vielleicht bin ich das auch. Eine altmodische Tante, die keine Ruhe geben kann, bis alles erledigt und wiedergutgemacht ist. Ich spüre, wie mir ein Brennen in die Wangen steigt und bin mir selbst ein bisschen peinlich.
Da hinten kommt der Faller. Wackelt mit verschmitzter, aber bedeutungsvoller Miene auf mich zu.
»Eisen-Siggi«, sagt er.
»Was?«
»Eisen-Siggi!«, sagt er noch mal.
»Wie kommen Sie denn plötzlich auf den?«, frage ich. »Der ist doch längst im verdienten Ruhestand.«
»Ist er wohl doch nicht«, sagt der Faller und grinst. »Ich habe gerade mit ihm telefoniert.«
Ich schaue ihn verwirrt an. Was will der jetzt mit dem ollen Eisen-Siggi?
»Die Telefonnummer, die wir vorhin aus der Wohnung mitgenommen haben«, sagt er. »Erinnern Sie sich?«
»Äh, ja klar«, sage ich. »Und?«
»Er sagt, er hätte den Namen Margarete Sinkewicz noch nie gehört. Aber das glaubt ihm natürlich kein Mensch. Ich werde mir den gleich persönlich zur Brust nehmen.«
»Sie fahren da jetzt direkt hin?«, frage ich. Sein Aktionismus wundert mich ein bisschen.
»Sofort fahr ich da hin«, sagt er. »Ich wette, der wartet schon auf mich.«
Er scheint sich richtig zu freuen, seinen alten Bekannten wiederzutreffen. Eisen-Siggi, mit bürgerlichem Namen Siegfried Eisele. Kam als talentierter junger Mann aus Süddeutschland auf den Kiez, Anfang der Sechziger. Der hat für einen Fünfer alles erledigt, was so zu erledigen war, und dann fing er das Boxen an. Sein rechter Haken wurde schnell dermaßen gefährlich, dass ihm der Beiname »Eisen« verliehen wurde, und die Fünf-Mark-Jobs mussten bald andere erledigen. Nach drei Jahren gehörte ihm ein gutgehendes Bordell gleich hinterm Hans-Albers-Platz, der Schuppen war für Kiezverhältnisse richtig nobel, das diskrete Ambiente zog mehr die zahlungskräftige Hamburger Gesellschaft als die Touristen an. Und er war der Chef von locker zwanzig Jungs, die sich für ihn die Hände schmutzig machten, egal, worum es ging, denn er bezahlte sie sehr gut und gab ihnen immer das Gefühl, dass jeder von ihnen eines Tages sein Erbe übernehmen könnte.
Das hat dann aber nicht hingehauen. Ende der Achtziger ging der Laden hoch, da wurde irgendwann so offensiv gekokst, das war wirklich nicht mehr schön, das konnte man einfach nicht mehr mit ansehen, bei aller Liebe zum Milieu. War ein ziemliches Buhei in der feinen Kundenriege, so einige haben damals ihre Pöstchen und Gesichter verloren. Eisen-Siggi ging für fast zehn Jahre in den Bau, wegen Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung, Erpressung und organisierter Kriminalität. Viele seiner Jungs gingen mit. Der Faller behauptet, Siggi Eisele hätte Legionen von Männern zu Brei schlagen lassen, aber umgebracht hätte er nie einen. Ich bin mir da nicht ganz so sicher.
Als Siggi seine Zeit abgesessen hatte, war er ruhiger geworden. Er mietete sich eine nette kleine Wohnung in den Alstervororten, lebte von seiner privaten Altersvorsorge und fiel nicht weiter auf. Dachten wir so.
Ich glaub’s nicht, echt. Der Eisen-Siggi. Der spinnt wohl.
»Was ist mit Ihnen, Chef?«, fragt der Faller. »Kommen Sie mit?«
»Ich geh heute zur Abwechslung mal früh ins Bett«, sage ich, »ich muss mich um meinen Blutdruck kümmern. Was ist mit der Pressekonferenz?«
»Macht unser Medienmann«, sagt er. »Ich hab zu tun!«
Er freut sich.
Ich sehe ihm noch kurz nach, als er geht. Er humpelt ein bisschen, und weil ich weiß, dass ihn manchmal seine Hüfte zwickt, und weil ich es ganz schlecht ertragen kann, wenn er Schmerzen hat, sollte mir das eigentlich einen Stich versetzen, aber weil er nicht nur humpelt, sondern auch diese lustige kleine Melodie pfeift, muss ich grinsen. Irgendetwas scheint den alten Mann noch mal hellwach gemacht zu haben.
Mein Telefon. Carla.
»Liebes«, sage ich.
Sie weint. Sie weint entsetzliche Tränen.
»Was ist denn los?« Ich fühle mich ein bisschen erschöpft. Bitte keine Probleme mehr heute. Am anderen Ende der Leitung: Schluchzen.
»Warte, ich geh mal eben vor die Tür,
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