Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Mädchen heutzutage stehen auf schicke Handtaschen.«
»Haben Sie gesehen, ob Henriette mit jemandem den Laden verlassen hat?«
Er schüttelt den Kopf. »Sie ist alleine gegangen, kurz nach halb zwei.«
»Hatte sie Freundinnen hier?«, frage ich.
»Meine Mädchen verstehen sich alle ganz gut, aber wer mit wem befreundet ist, kann ich Ihnen nicht sagen, das geht mich auch nichts an.«
»Können wir mit den Mädchen sprechen?« Der Calabretta macht schön auf zielstrebig-schmallippig. Das muss man ihm lassen, der ist ein Bulle wie aus dem Bilderbuch. Und er trägt immer zu enge Jacken, damit man die Knarre darunter nicht übersehen kann. Ich fühle mich entspannt in seiner Gesellschaft.
»Die erste Show läuft um acht, die Mädchen kommen so gegen sieben«, sagt der Typ.
»Übernehmen Sie das?«, frage ich den Calabretta.
»Naturalmente«, sagt er. Das kenn ich doch.
Und dann, mit einem kleinen Blick auf das tanzende Mädchen: »Ich bleib am besten gleich hier.«
Der Lederjackett-Typ klopft ihm jovial auf die Schulter und sagt: »Kein Problem, Mann.«
Ach du Schande, Verbrüderungsversuch.
»Holen Sie sich noch eine Kollegin dazu«, sage ich, »die Mädchen werden ein weiches Gesicht brauchen, in das sie schauen können, wenn sie erfahren, dass inzwischen zwei von ihnen tot sind.«
Es ist Abend geworden auf Sankt Pauli, es ist Freitagabend, die Meile füllt sich und glitzert wie verrückt. Die Vorstadtjugend hat sich aufgerüscht und zu Hause schon mal vorgeglüht und überfällt jetzt die Trink- und Tanzläden auf der Großen Freiheit. Das coole Volk der Dreißigjährigen schlendert durch die Bars und nimmt ein paar Drinks, bevor sie dann später auf kleine Clubkonzerte gehen. Die Rentner sind auf dem Weg ins Operettenhaus, weil sie sich da ein fürchterliches Musical reinziehen wollen, und schauen sich vorher noch ein bisschen in den Sexshops um und kichern. Der Freitagabend auf dem Kiez ist zum Schreien bunt, und manchmal wünsche ich mir, es wäre immer noch wie vor fünfzig Jahren, als sich hier außer Hans Albers, den Matrosen und den Bordsteinschwalben keiner hingetraut hat.
Ich sehe zu, dass ich nach Hause komme. Ich laufe die Große Freiheit runter, deren unterer Teil nichts mit dem Halligalli der oberen Hälfte zu tun hat. Bis auf einen altehrwürdigen Konzertschuppen und ein Restaurant ist da nicht viel. Dieser Teil der Straße verströmt fast Erholung. An der Ecke zur Paul-Roosen-Straße ist nur eine verrammelte ehemalige Schwulenbar, gegenüber macht ein neuer Laden auf seriös, und dann biegt man um die Ecke, und das Wohnviertel fängt an. Eine Bäckerei, ein Supermarkt, der Gemüsemann, der Frisör. Bei Feinkost Baroni biege ich links ab und bin in meiner Straße. Ich sehe sie vor mir liegen, sehe die Bar Centrale und Leon, den Engländer, hinter seiner Theke stehen, er winkt mir zu, und ich winke zurück, ich sehe den Fischimbiss, vor dem eine Gruppe Teenagermädchen Zigaretten raucht, daneben stehen die verrückten Fahrradkuriere vor ihrer Werkstatt, in der man die schnellsten Räder der Stadt kaufen kann, der Kandie-Shop hat schon zu, aber das Schild für guten Kaffee leuchtet die ganze Nacht, und ganz hinten, am Ende der Straße, schließt Achmed gerade seinen Kiosk ab, und der Dönerladen nebenan macht auf und übernimmt. Ab jetzt wird das Bier eben da gekauft.
Ich habe große Lust, mit Carla zu reden. Ich hole mein Telefon aus meiner Manteltasche und wähle ihre Nummer. Sie geht nicht ran. Ich rufe im Café an. Da geht auch keiner ran. Der nette Stammgast scheint aufgegeben zu haben.
Meine Güte, sie kann doch nicht immer noch im Koma liegen, so schlimm war das jetzt auch nicht gestern. Ich steh hier ja auch schon den ganzen Tag stramm. Die hat Nerven, echt. Ich würde sie wirklich gerne sprechen. Ich versuch’s noch mal. Nichts. Teilnehmer nicht erreichbar. Na warte, Baby, dich werd ich gleich aus dem Bett klingeln.
»Hey.«
Oh. Klatsche.
»Hey«, sage ich.
Fast hätte ich ihm die Haustür ins Gesicht geschlagen.
»Wo kommst du her?«, fragt er.
Ich weiß nicht, was ich antworten soll, es gäbe so viel zu erzählen, und es fällt mir so schwer, überhaupt etwas zu sagen.
»Wo willst du hin?«, frage ich.
»Einsatz«, sagt er, zieht die rechte Augenbraue hoch und schwenkt sein Köfferchen. »Lassen Sie mich durch, ich bin der Schlüsseldienst.«
Ich lache, ein bisschen übertrieben, so gut war der Witz auch wieder nicht. Wenn es einer war. Ich sehe lieber mal auf meine
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