Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Nerven mehr für Spielchen.«
»Warum ist eine erfahrene Kiez-Lady mit dem Mann mitgegangen, was denken Sie?«
»Ich bring dich groß raus, Schätzchen«, sagt er.
»Wird langsam immer wahrscheinlicher«, sage ich. »Sehen wir uns morgen früh auf dem Präsidium?«
»Die SoKo tagt um neun«, sagt er.
»Okay«, sage ich, »dann machen Sie jetzt mal Feierabend, Brückner. Ich mach das auch.«
Klatsche wartet an der Theke, seine Wangen sind gerötet von dem klebrigen, heißen Getränk. Und neben der Theke bauen zwei Typen ihre Instrumente auf.
»Wo kommen die denn her?«, frage ich.
»Das haben wir vorhin bestellt«, sagt Klatsche und schiebt mir meine Tasse rüber. »Erinnerst du dich?«
»Ich meine die Band, du Spinner.«
»Die sind hier reingehuscht, als die Frau Staatsanwältin wichtig telefoniert hat«, sagt er.
»Es war wichtig«, sage ich.
»Willst du’s erzählen?«, fragt er.
»Nein«, sage ich.
Während wir an der Theke sitzen und in aller Ruhe unsere Schokolade nuckeln, kommen immer mehr Leute in die Bar. Nach einer halben Stunde ist es richtig voll, ungewöhnlich für einen Sonntagabend. Aber die Leute sehen auch alle nicht so aus, als würden sie sich darum scheren, dass morgen Montag ist. Ich mag das Publikum.
»Das ist so nett hier mit dir«, sage ich und komme mir saublöd vor. Nett sage ich wirklich nie. Aber ich finde es wahnsinnig nett, so selbstverständlich und weich und entspannt. Das muss an meinen Hormonen liegen. Die kommen mit amourösen Situationen nur schwer klar, die haben da keine Erfahrung. Klatsche verschluckt sich auch prompt an seinem Kakao.
»Nett? Du findest mich nett?« Er sieht mich an, als wolle er mir eine reinhauen.
»Entschuldigung«, sage ich, und mir rutscht der Kopf zwischen die Schultern. Klatsche lächelt mich an und legt seinen Arm um meine Taille. Ich zucke zusammen. Heute Nachmittag in den Dünen war es einfacher.
»Entspann dich, mein Herz«, sagt er, »ich tu dir nichts.«
»Ich weiß«, sage ich. Ich bin mir nicht sicher, denke ich. Mein Herz. Mein Herz ist in Gefahr. Es meldet sich so heftig in letzter Zeit. Und durch meine Stadt rennt ein irrer Frauenmörder. Irgendwie gerät alles außer Kontrolle.
Die Musik fängt an. Zwei blonde Jungs, zwei Gitarren. Der eine singt, der andere hat seine Gitarre zu einer Art Akustikbass umgebaut, das klingt ganz wunderbar. Der Sänger sagt, er sei krank, er hätte Fieber. Seine Stimme klingt auch nach Fieber, nach Druck im Kopf, nach unruhigen Nächten, aber der Klang der Lieder ist voller Zuversicht, voll von diesem Gefühl, dass es besser wird. Insgesamt: Es geht mir nicht gut, aber ich habe noch Hoffnung.
»Wir sind Außenborder«, sagt der Sänger, »und wir kommen aus Hamburg Sankt Pauli. Schön, dass ihr hier seid.«
Finde ich auch. Dann singt er davon, dass bald Frühling wird, weil er gerade verlassen wurde. Ich mag diese Band.
Zu Hause legen wir uns in mein Bett, als wäre nichts. Als wären wir Geschwister, die von einem Ausflug an der frischen Luft zurückkommen. Wir liegen in Unterwäsche im Arm des anderen, es ist warm und gemütlich unter der Decke, die Dunkelheit fällt wie ein behaglicher Schein auf uns, Klatsche hat seine Hand in meinem Nacken, und mir geht’s so gut, dass ich heulen könnte.
Montag:
Flaute, Mastbruch, Skorbut
A ls ich aufwache, ist er weg. Aber sein Hemd hängt über meinem Stuhl, er hat es hiergelassen, ich interpretiere es als ein Zeichen, und das freut mich mehr, als ich zugeben kann. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Zettel:
Bin unterwegs.
Sehen wir uns heute Nacht?
Kuss, K.
Oder, wenn du willst: Henri.
Ich setze Kaffee auf, gehe unter die Dusche und mache mich auf den Weg ins Präsidium. Der Tag fühlt sich an, als wäre er ganz in Ordnung. Ich weiß, dass sich das sicher gleich ändern wird, denn im Präsidium wird es keine vertraulichen Zettel geben und keine unerhörte Liebesbeziehung zu einem fünfzehn Jahre jüngeren Rumtreiber. Stattdessen Frustration in den Gesichtern der Kollegen, die Fotos von gestern Morgen, die Zeitungen von heute.
Ich laufe bis zur Budapester Straße, steige in ein Taxi, und als die Uhr bei vier Euro dreißig steht, fallen die ersten Tropfen auf die Windschutzscheibe.
»Schietwetter«, sagt der Taxifahrer.
Ich schaue aus dem Fenster, während wir durchs bescheuerte Schanzenviertel fahren, und sage nichts. Wir wissen beide, dass er recht hat, und dann kommt uns eine merkwürdige Kolonne entgegen. Ein alter Herr auf einem
Weitere Kostenlose Bücher