Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
ich sollte jetzt mal anfangen. Allerdings: In meinem Büro sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich hab hier keinen Putzdienst, weil ich nicht will, dass jemand außer mir in der Nähe meiner Unterlagen ist, das heißt aber, dass ich mich selbst ums Putzen kümmern muss. Das schaffe ich ja kaum in meiner Wohnung. Und weil ich es hier seit bestimmt zwei Monaten nicht mehr geschafft habe, liegt der Staub inzwischen zentimeterdick, der Papierkram stapelt sich in allen Ecken, und auch wenn ich mir immer sehr gewissenhaft die Füße abputze, habe ich jede Menge Hamburger Wetter in mein Büro getragen. Hm. Okay. Ich fang dann mal an. Und dabei mache ich ein bisschen sauber. Soll ja beim Nachdenken helfen.
Zuerst die Akten. Die müssen ins Regal. Und dann ist da also dieser Mann, der Frauen den Skalp abschneidet. Das, was er tut, macht mir offensichtlich große Angst. So große Angst, dass ich bisher nicht in der Lage war, mich ordentlich damit zu beschäftigen.
Ich renne nur als Anhang der Kripo durch die Gegend, und das, was mein eigentlicher Job ist, worin ich auch richtig gut bin, die Idee hinter den Ermittlungen zu sein, das gelingt mir nicht. Ich weiß, dass die Kollegen geduldig sind und daran gewöhnt sind, auch mal auf mich zu warten, aber ich selbst verliere langsam die Geduld.
Die Akten sind im Regal. Jetzt die alten Zeitungen. Die gehören in den Müll.
Drei Frauen mussten schon sterben, und der Basso. Es reicht. Es muss aufhören. Ich brauche eine Idee, ein Gefühl für den Täter. Ich weiß: Wenn ich es schaffe, ein Gefühl für ihn in mir herzustellen, schnappen wir ihn. Das ist irrational, aber es funktioniert. Es hat bisher immer funktioniert. Ich muss nicht viel dafür tun. Ich muss nur meine Angst wegschieben und meine Vorstellungskraft aktivieren. Ich muss für einen kurzen Moment in seine Welt, in seinen Kopf, mir seine Seele ansehen. Woher ich das kann? Keine Ahnung. Es ist mir einfach eines Tages aufgefallen, dass es geht. Ich glaube, das ist eine kindliche Fähigkeit. Kinder können das: Geschichten intuitiv begreifen. Und aus irgendeinem Grund habe ich diese Fähigkeit beibehalten. Vielleicht, weil es in meiner Kindheit sonst nichts gab, was es wert gewesen wäre, rübergerettet zu werden.
Ich hole ein altes Staubtuch aus dem Schrank, in dem ich meinen persönlichen Kram habe, und wische erst den Schreibtisch ab, dann mache ich mich an die Fensterbänke und die Regale.
Er sieht sie also. Er sieht sie an. Er sucht sie aus. Etwas an ihr zieht ihn an. Das, was alle Opfer miteinander verbindet, ist ihre Schönheit, ihr schönes Haar. Tänzerinnen benutzen es, um ihre Bewegungen zu unterstreichen, um Schönheit zu vervielfachen. Er sieht also eine Frau an, die das hat, wonach er sich sehnt: schönes Haar. Die Sehnsucht danach muss sehr mächtig sein, schmerzhaft. Da muss eine große Lücke in ihm sein, ein böses Loch. Etwas, das so ein Loch reißen kann, war mal da, das hat es mal gegeben, sonst würde es ihm nicht so schrecklich fehlen. So sehr, dass er sogar bereit ist, Menschen zu töten, um es wiederzubekommen.
Ich packe das Staubtuch wieder in den Schrank und hole den kleinen Handstaubsauger raus, den ich hier vor einiger Zeit mal gebunkert habe. Ich gehe auf die Knie und fange an, Stück für Stück den Fußboden zu saugen. Das wird eine Weile dauern. Hoffentlich platzt niemand in mein Büro.
Herr Borger hat gesagt, einen Tötungswillen hat er vermutlich nicht, er tut es nicht um des Tötens willen, sonst würde er es anders tun, brutaler, blutrünstiger, animalischer. Ein Wesen, das töten will, lässt Blut spritzen. Er achtet darauf, dass nicht zu viel davon fließt, das Blut bedeutet ihm nichts. Er sehnt sich einfach nur nach ihrem Haar.
Er spricht sie an, liebevoll, sehnsüchtig. Das gefällt ihr, und sie lässt sich auf ein Gespräch ein. Sie geht sogar mit ihm mit. Was genau er zu ihr sagt, ist nicht wichtig. Wie er es sagt, das muss es sein, die Verehrung, die aus seinen Worten spricht und die vermutlich vollkommen ehrlich ist. Er muss ein lieber, zarter Typ sein, sonst würde sie nicht mitgehen. Vielleicht wirkt er ein bisschen einsam, wie einer, dem man helfen möchte, der total ungefährlich scheint, als könne man ihn locker in seine Schranken weisen, falls er doch zudringlich wird. Und er muss ganz anders sein als die Männer, mit denen diese Mädchen sonst zu tun haben, in ihrer rauhen Welt. Einer, der angenehm auffällt, wirkt anziehend.
Er nimmt sie dort mit
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