Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
blitzenden silbernen Klapprad, er trägt einen cremefarbenen, perfekt sitzenden Anzug, seine grauen Haare sind akkurat gescheitelt, und er sitzt auf seinem Rad, als wäre es ein Rassepferd und als wäre da oben die Sonne und nicht das ewige Grau. Dahinter: ein ungefähr gleich alter Mann auf einem rostigen ockergelben Klapprad. Seine Klamotten sehen aus wie frisch aus dem Altkleidersack gezogen, er trägt mehrere Schichten schrecklicher, gammeliger Sachen übereinander und wirkt immer noch sehr schlank. Er muss heftig dünn sein. Auf dem Kopf hat er eine dunkelblaue Strickmütze, Modell Hafendetektiv, an den Seiten schauen verklebte bräunliche Strähnen raus. Seine dicken Brillengläser sind so verschmiert, dass es mir ein Rätsel ist, wie er die Straße erkennen kann. Dann ein junger Vater auf einem schwarzen Hollandrad. Über dem Vorderrad ist eine kleine Ladefläche angebracht. Auf der Ladefläche befinden sich ein Geigenkasten und ein kleiner Junge, der einen roten Regenmantel anhat. Das Schlusslicht bildet eine Frau in einem elektrischen Rollstuhl. Sie hat einen Jeansanzug an, trägt eine riesige dunkle Sonnenbrille, ihre blonden Haare sind zu einer beeindruckenden Hochsteckfrisur aufgetürmt, und an die Rückenlehne ihres Rollstuhls ist eine Sankt-Pauli-Flagge montiert, eins fünfzig auf eins fünfzig, und die Flagge weht im Wind.
Diese Stadt hat doch immer was zu bieten, auch wenn das Viertel, in dem man sich befindet, eher grenzwertig ist und das Wetter mies.
Unser SoKo-Tisch im Präsidium sieht aus wie eine Kioskauslage, und ich muss mir die Zeitungen nicht anschauen, um zu wissen, dass sie alle die gleichen Fragen stellen: Wie viele Frauen müssen noch sterben? Wann kommt der Irre endlich hinter Gitter? Wie unfähig ist unsere Polizei?
Der Calabretta liest das lokale Revolverblättchen und wirkt verzweifelt. Er kann es nicht gut ertragen, wenn die Leute einen schlechten Eindruck von ihm haben. Normal. Italiener. Müssen immer bella figura machen. Der Ärmste. Ich glaube, die schlechte Presse trifft ihn sehr. Betty Kirschtein ist nicht da. Ich schätze, sie macht die Tablettentests, von denen der Brückner gestern gesprochen hat.
»Moin, Leute«, sage ich.
»Moin, Chef«, sagen die Leute.
»Schon Zeitung gelesen?«, fragt der Faller.
»Nein«, sage ich. »Wie schlimm ist es?«
»Sehr schlimm«, sagt der Schulle. »Wir sind die offiziellen Vollidioten.«
»Dann lassen Sie uns schnell weitermachen«, sage ich, »und allen zeigen, dass wir keine Vollidioten sind. Was wissen wir über den dritten Mord?«
»Das Wichtigste sind die Reifenspuren«, sagt der Brückner. »Und dass wir zweifelsfrei die Haut des Täters unter den Fingernägeln des Opfers haben.«
»Hat das Beschattungsteam von gestern Abend schon Meldung gemacht?«, frage ich.
»Ja«, sagt der Faller. »Denen ist niemand aufgefallen. Aber ein Team verbringt seine Abende jetzt ausschließlich im Acapulco. Wir haben mit dem Besitzer gesprochen, und er hat uns zugesichert, das Geschäft weiterlaufen zu lassen, trotz der Morde. Die Mädchen sind tapfer und stellen sich als Lockvögel zur Verfügung. Sie wissen, dass wir da sind, und wollen mit jedem mitgehen, der sie anspricht. Wenn er uns in die Falle tappen soll, muss das Acapulco mitspielen, und das ist denen auch klar. Sie wollen, dass der Kerl geschnappt wird.«
»Außerdem?«, frage ich. »Was tun wir noch?«
»Wir überwachen nicht nur das Acapulco, sondern auch alle anderen einschlägigen Stripschuppen, zur Sicherheit«, sagt der Schulle. »Und seit einer Stunde ist eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei unterwegs und überprüft sämtliche Geländewagen in Hamburg auf ihre Reifen und spricht mit den Haltern.«
»Schweinearbeit«, sage ich.
Dann lasse ich die Kollegen alleine weitermachen und fahre in die Staatsanwaltschaft. Offiziell will ich ein paar Akten sortieren und mich um die Anrufe der Presse kümmern, die in meinem Büro aufgelaufen sind. In Wahrheit ist es aber so: Es ist an der Zeit, einen Versuch zu machen. Und der Faller weiß, was ich vorhabe. Ich kann es in seinem Blick sehen: Nur Mut. Mach es, Kleines. Wenn’s schlimm wird, bin ich schneller da, als du um Hilfe rufen kannst.
Der Patschinski macht auf Spürnase und glaubt mir nicht, dass ich zufällig an der Elbe war und die Tote gefunden habe. Er stellt mir einen Haufen wirrer Fragen und droht damit, sich eine Geschichte zu stricken, wenn ich ihn nicht mit Exklusivinformationen versorge. Soll er doch.
Und
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