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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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vorstellen, wie diese Möglichkeit aussehen sollte.«
    »Ich auch nicht. Aber vielleicht findet der Ozean einen Weg. Doch dazu muss er erfahren, was auf dem Spiel steht.« Wieder strich sie sich über den Unterarm und stellte staunend fest, dass sich die Pilzflecken explosionsartig ausgebreitet hatte. Die Flechte musste seit Jahren unter der Haut gelauert haben, und jetzt hatte sie irgendetwas jäh aufflammen lassen.
    Selbst bei Tageslicht erstrahlte ihre Haut in leuchtend grünen und blauen Tönen. Vermutlich waren die biochemischen Reaktionen in Gang gekommen, als sie ins Wasser gesprungen war, um die Kugel zu holen. So betrachtet musste sie es als Botschaft sehen. Eine Aufforderung vielleicht? Oder eine Warnung vor den Gefahren des Schwimmens?
    Sie hatte keine Ahnung, aber um ihres Seelenfriedens willen – und in Ermangelung anderer Alternativen – entschied sie sich, die Flecken als Einladung zu interpretieren.
    Wobei sie sich nicht zu fragen wagte, von wem diese Einladung denn käme.
    »Sie glauben, der Ozean vermag auch externe Ereignisse zu deuten?«, fragte Weir.
    »Sie sagten ja selbst, Rafael: in jener Nacht, als wir von Ihrem Schiff erfuhren, war die Information bereits irgendwie ins Meer gelangt – vielleicht durch die Erinnerungen eines Schwimmers. Und die Schieber wussten, dass das Ereignis von Bedeutung war. Vielleicht war es Ormazds Persönlichkeit, die sich nach vorne drängte.«
    Vielleicht hatte der mächtige Bewusstseinschor auch nur erspürt, dass irgendetwas geschehen würde.
    »Wie auch immer«, sagte Naqi. »Es macht mir Hoffnung. Vielleicht gibt es doch noch eine Chance.«
    »Ich wünschte, ich könnte Ihren Optimismus teilen.«
    »Geben Sie mir diesen einen Versuch, Rafael: Mehr verlange ich nicht.«
    Naqi legte ihre Kleider ab, weniger, weil es sie gestört hätte, sich vor Weir nackt zu zeigen, sondern weil sie etwas zum Anziehen brauchte, wenn sie wieder aus dem Wasser kam. Weir musterte sie tatsächlich mit unverhohlenem Interesse, aber ohne jede Schlüpfrigkeit. Was ihn fesselte, war offensichtlich die Pilzflechte, die kunstvolle Blumenmuster von faszinierender Leuchtkraft auf ihre Brust, ihren Unterleib und ihre Schenkel zeichnete.
    »Sie verändern sich«, sagte er.
    »Wir alle verändern uns«, antwortete Naqi.
    Damit ließ sie sich über die Seitenwand ins Wasser gleiten.
    Sie ließ sich in die Arme des Ozeans sinken. Alles lief so wie beim ersten Mal, als Mina noch bei ihr gewesen war. Sie drängte ihre Ängste zurück und zwang sich, die biochemische Invasion ihres Körpers zu dulden. Schließlich hatte sie das alles schon einmal durchgemacht und konnte es auch diesmal überleben. Wichtig war vor allem, nicht daran zu denken, wie ihr Leben nach diesem Tag aussehen würde, wenn alles andere zerstört und jede Sicherheit zerbrochen wäre.
    Mina erbarmte sich und kam schnell.
    Naqi?
    Ich bin hier. O Mina, ich bin hier. Schrecken und Freude, untrennbar miteinander verbunden. Es ist so lange her.
    Naqi fühlte ihre Schwester näher kommen und sich entfernen, scharf werden und wieder verschwimmen. Manchmal schienen sie sich beide im gleichen physischen Raum aufzuhalten, dann war Mina wieder nur eine unbestimmbare, wachsame Präsenz.
    Wie lange?
    Zwei Jahre, Mina.
    Minas Antwort ließ eine Ewigkeit auf sich warten. In dieser grauenvollen Lücke spürte Naqi, wie andere Bewusstseine sich in das ihre drängten, einige davon so weit von allem Menschlichen entfernt, dass sie erschrak. Mina war nur ein konformales Bewusstsein, das ihre Ankunft gespürt hatte, und von den anderen waren nicht alle wohlwollend neugierig oder erfreut über ihren Besuch.
    Mir kommt es nicht vor wie zwei Jahre.
    Sondern?
    Wie Tage … Stunden … Das ändert sich.
    Woran erinnerst du dich?
    Minas Präsenz tanzte um Naqi herum. Ich weiß, was ich weiß. Wir sind geschwommen, obwohl es uns nicht erlaubt war. Dann geschah etwas mit mir, und ich konnte den Ozean nicht wieder verlassen.
    Du bist ein Teil davon geworden, Mina.
    Ja! Das klang so triumphierend, dass Naqi tief schockiert war.
    Du wolltest das so?
    Auch du würdest es wollen, wenn du nur wüsstest, wie es ist. Du hättest bleiben können, Naqi. Du brauchtest es nur geschehen zu lassen, dann wäre es dir ergangen wie mir. Wir waren uns so ähnlich.
    Ich hatte Angst.
    Ja, ich weiß.
    Naqi spürte, dass die Zeit drängte. Sie musste zur Sache kommen. Die Zeit lief hier anders – Mina wusste ja nicht einmal, wie lange sie schon Teil des Ozeans war – und

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