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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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sie konnte nicht sagen, wie lange sich Weir gedulden würde. Vielleicht setzte er den Schieberkiller aus, ohne zu warten, bis Naqi wieder auftauchte.
    Da war noch ein Bewusstsein, Mina. Wir sind ihm beide begegnet, und mich hat es so sehr erschreckt, dass ich den Ozean auf der Stelle verlassen und nie wieder zurückkehren wollte.
    Und doch bist du jetzt gekommen.
    Gerade wegen dieses Bewusstseins. Es gehört einem Mann namens Ormazd. Seinetwegen wird etwas Schreckliches geschehen. Schrecklich auf die eine oder andere Weise.
    Was dann geschah, überstieg alles, was Naqi jemals erlebt hatte. Sie selbst und Mina wurden unzertrennlich. Nicht nur, dass sie nicht mehr sagen konnte, wo die eine begann und die andere endete, es wurde vollkommen sinnlos, überhaupt in solchen Kategorien zu denken. Mina war, wenn auch nur für einen Moment, zu Naqi geworden. Beide hatten gleichermaßen Zugriff auf alle Gedanken, alle Erinnerungen.
    Naqi verstand, wie Mina das Leben hier empfand. Aus den Erinnerungen ihrer Schwester sprach helles Entzücken. Sie mochte das Gefühl haben, nur Tage oder Stunden seien vergangen, aber das trog. Seit ihrer Verschmelzung mit dem Ozean war ihr Dasein von einer unglaublichen Fülle. Sie hatte mit zahllosen fremden Bewusstseinen Erfahrungen ausgetauscht und ganze Geschichtsverläufe in sich aufgenommen, die außerhalb jeder menschlichen Vorstellung lagen. Und in diesem Moment der Gemeinsamkeit erahnte Naqi auch, warum ihre Schwester überhaupt assimiliert worden war. Konformale waren für den Ozean ein Instrument, um sich zu organisieren. Hin und wieder war eine ordnende Kraft vonnöten, um das riesige Archiv statischer Bewusstseine zu betreuen – und dazu wurden unabhängige Intelligenzen herangezogen. Mina gehörte zu diesen Auserwählten, der Ozean hatte sich ihrer bedient und sie dafür unvorstellbar reich belohnt. Er hatte ihre Intelligenz auf der Ebene des Unterbewusstseins angezapft. Nur hin und wieder hatte sie bewusst gespürt, dass sie in einer wichtigen Angelegenheit direkt um ihren Rat gebeten wurde.
    Aber Ormazds Bewusstsein …?
    Mina hatte auch Naqis Erinnerungen gesehen. Sie wusste, was auf dem Spiel stand, und sie wusste, was dieses Bewusstsein repräsentierte.
    Ich habe ihn immer gespürt. Er war nicht ununterbrochen gegenwärtig – er liebte es, sich zu verstecken –, aber selbst wenn er abwesend war, hinterließ er einen Schatten. Es könnte sogar sein, dass mich der Ozean seinetwegen als Konformale zu sich holte. Er spürte, dass eine Krise heraufzog und dass Ormazd etwas damit zu tun hatte. Deshalb suchte er nach neuen Verbündeten, nach Bewusstseinen, denen er vertrauen konnte.
    Nach jemandem wie Mina, dachte Naqi und wusste nicht, ob sie die Musterschieber bewundern oder wegen ihrer Herzlosigkeit verabscheuen sollte.
    Ormazd hat den Ozean verseucht?
    Sein Einfluss war stark. Schon die Kraft seiner Persönlichkeit war wie ein Gift, und ich glaube, die Musterschieber wussten das.
    Warum konnten sie seine Muster nicht einfach ausstoßen?
    Das ist nicht möglich. So funktioniert das nicht. Das Meer ist ein Speichermedium, aber es kann sich nicht selbst zensieren. Wenn einzelne Bewusstseine eine schädliche Präsenz entdecken, können sie sich dagegen wehren … Aber Ormazds Bewusstsein ist menschlich. Und wir Menschen sind hier nicht zahlreich genug, um etwas bewirken zu können, Naqi. Die anderen Bewusstseine sind wiederum zu fremd, um Ormazds Charakter zu erkennen. Sie nehmen nur ein intelligentes Wesen wahr.
    Wer hat die Musterschieber geschaffen, Mina? Könntest du mir diese Frage bitte beantworten?
    Sie spürte Minas Erheiterung.
    Das wissen nicht einmal die Schieber selbst, Naqi. Nicht wer und nicht warum.
    Du musst uns helfen, Mina. Du musst dem Rest des Ozeans klar machen, dass dringend gehandelt werden muss.
    Ich bin nur ein Bewusstsein unter vielen, Naqi. Eine einzelne Stimme im Chor.
    Trotzdem musst du einen Weg finden. Ich bitte dich, Mina, begreife wenigstens so viel: du könntest sterben. Ihr alle könntet sterben. Ich habe dich schon einmal verloren, aber jetzt weiß ich, dass du nie wirklich von mir gegangen bist. Und ich will nicht, dass du mich noch einmal verlässt, und diesmal für immer.
    Nicht ich habe dich verlassen, Naqi. Du hast mich verlassen.
    Sie zog sich ins Boot. Weir hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Die Kugel hielt er immer noch in der Hand. Sie war unversehrt Die Schatten waren ein wenig weitergewandert, aber nicht so weit, wie Naqi

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