Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
legte lächelnd einen Arm um Auriels Schultern. „Wir sind ebenso finster wie diese Macht. Warum sollte sie uns feindlich gesinnt sein?“ In seinem Inneren aber wusste der Dunkelelf, wovon seine Gefährtin sprach. Auch er spürte die Finsternis, die das Land heimgesucht hatte. Rhavîn ahnte, welche Wirkung dies auf die Natur und die Tiere haben konnte. Er wusste, dass die finstere Magie, die dieses Land wie ein unsichtbarer Nebel durchzog, Gefahren heraufbeschwor, die es ohne diese Einwirkung niemals gegeben hätte. Der Meuchelmörder befürchtete, den noch unbekannten Schrecken ohne Nymions Hilfe nicht Herr werden zu können, sollten sie einem von ihnen begegnen.
„Wir müssen dennoch vorsichtig sein!“, mahnte Auriel. „Ich weiß nicht, woher die Welt diese Kraft nimmt, aber sie ist zerstörerisch und todbringend. Wir müssen uns vorsehen.“
Die Hexerin spürte die aufziehende Gefahr deutlich. Aus irgendeinem Grund war sie sich sicher, dass die finsteren Ströme auf sie und Rhavîn gerichtet waren, sie verfolgten und jagten. Sie wusste nicht, woher die Bedrängnis lauerte und von wem sie ausging, doch spürte sie deutlich den gegen sie selbst gerichteten Hass, den jeder Ort in dieser wunderbaren Natur allmählich zu verströmen schien.
Je näher die beiden Liebenden und Kentaro nach Norden kamen, desto mehr veränderte sich die Landschaft. Die Bäume standen immer näher zusammen und auch die Felsen rückten bedrohlich nah zueinander, sodass es Rhavîn und Auriel zwischenzeitlich schwerfiel, einen Blick auf den weit entfernten Himmel zu werfen.
Auch das Unterholz wurde immer dichter. Auriel hatte das Gefühl, dass die Pflanzen von aggressivem Eigenleben erfüllt waren und es darauf anlegten, sie und ihre Gefährten zum Stolpern zu bringen. Immer wieder verfingen sich ihre Füße in Schlingen und Wurzeln und viele Male wäre sie fast gestürzt, hätte Rhavîn sie nicht gehalten.
Doch auch der Sícyr´Glýnħ hatte trotz seines leichtfüßigen Gangs Schwierigkeiten, sich durch das dichte Buschwerk zu kämpfen. Schon längst versuchte er, den Weg mit gezielten Schwerthieben zu verbreitern. Doch überall dort, wo er einen Ast zerschlug und eine Schlingpflanze durchtrennte, ragten plötzlich zehn weitere in die Höhe.
„Dieser Wald lebt auf sonderbare Weise“, raunte Auriel, als sie sich strauchelnd an dem Stamm einer dicken Eiche abstützen wollte. Der Baum allerdings wich vor ihrer Berührung zurück, verformte sich für einen kurzen Augenblick und hieb mit einem seiner tief hängenden Äste nach dem Arm der Hexerin. Auriel zog ihre Hand zurück. Erschrocken blickte sie an dem Baum empor und glaubte für den Bruchteil eines Augenblicks zwei böse funkelnde Augen zwischen den Borken der Rinde erkennen zu können. Mit einem leisen Aufschrei wich sie zurück.
„Er lebt wirklich. Furchterregend ...“, hauchte sie dann und huschte hinter Rhavîn her – in seiner Nähe fühlte sie sich sicher. „Rhavîn, die Bäume ... sie haben Augen!“
„Das könnte ein Elfenfluch sein!“, schnaubte der Dunkelelf. „Sie und ihre verderbten Zauberer vermögen es, Bäume zu beseelen und Pflanzen Leben einzuhauchen. In ihren Reichen können Bäume auf Beinen durch die Gegend gehen und schreckliche Ungetüme aus harmlosen Pflanzen erwachsen, um sich ihrer Haut zu erwehren.“ Der Sícyr´Glýnħ zog die Teydraga von seinem Rücken. Nacheinander legte er vier Bolzen ein, ohne die Umgebung aus den Augen zu lassen. Anschließend nahm er die Waffe in die rechte Hand, während er mit der linken drei Arinatu-Kéiy unter seinem Mantel hervorfischte. „Ich habe auch von Baumgeistern und Naturwesen wie Dryaden gehört, die in Bäumen leben sollen“, fuhr er nachdenklich fort.
„Ja, ich kenne solche Geisterwesen. Doch in diesem Baum lebte keines, das hätte ich erkannt. Dieser Baum hat durch unsichtbare Kräfte zum Leben gefunden. Seine schlafende Seele wurde von finsteren Energien geweckt!“
Plötzlich erklang ein dumpfes Knurren, das innerhalb weniger Augenblicke zu einem durchdringenden Heulen anschwoll, das Auriel den Speichel im Mund zu Stein erstarren ließ. Auriels Atem stockte, ihr Herz machte einen Satz.
Rhavîn drehte sich einmal um sich selbst, die Armbrust zum Angriff bereit. Doch so sehr er sich auch anstrengte, konnte er nichts erkennen.
Es war nicht dunkel, noch war helllichter Tag und doch verströmte dieser Wald den Eindruck, als herrschte Dämmerung. Zwischen die Wipfel der eng stehenden Bäume
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