Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
Euch etwas Besseres einfallen lassen, Rhavîn“, lachte N’thaldur gehässig. Desinteressiert ließ er das Schwert zu Boden gleiten. Auriel erkannte, dass keine Wunde den Leib des Zauberers zierte und nicht einmal Blut an Rhavîns Langschwert haftete. „Ich bin kein Mensch mehr, Rhavîn Khervas, ich bin untot. Untote sterben nicht!“
Ungeachtet dieser Worte trat Rhavîn aus dem Fluss heraus. Er ging monotonen Schrittes und mit versteinerter Miene über das überschwemmte Ufer zu Nymion hinüber. Seine Glieder bebten, er presste die Zähne so fest aufeinander, dass sie schmerzten. Um nicht in die Knie zu brechen, ballte der Dunkelelf mit aller Kraft die Hände zu Fäusten. Die Fingernägel bohrten sich in seine Handflächen, doch er spürte den schrillen Schmerz nicht, der sich bis in seine Unterarme ausbreitete. Plötzlich fühlte Rhavîn seinen Körper nicht mehr – keine einzige seiner Verletzungen schmerzte noch, und ihm fiel auch nicht auf, dass er nur wenig sehen konnte. Einzig der tiefsitzende Schmerz in seinem Herzen hatte ihn ergriffen, nagte in seinen Adern, grub sich quälend in seine Organe. Ein hohles Pochen hinter seinem Brustbein vermischte sich mit dem hastigen Klopfen seines Herzens und dem Gefühl, dass sein Blut schäumte und kochte, obwohl es zugleich zu Eis erstarrt war. Panik wallte durch seine Adern, Ohnmacht tobte wie ein finsterer Geist durch seinen Körper.
Rhavîn sah schon von Weitem, dass sich Nymions Nüstern bewegten. Die Erkenntnis, dass Nymion noch atmete, versetzte seinem Herzen einen Stich. Rhavîns Körper bebte. Der Sícyr´Glýnħ erkannte, dass das Stirnhorn seines besten Freundes noch flackernd glomm. Doch während er schrecklich langsam Schritt um Schritt voranging und ihn zusätzlich zu der Leere noch eine unüberwindbare Übelkeit überkam, fiel sein Blick immer wieder auch auf die tiefen, heftig blutenden Verletzungen, die N’thaldur dem Einhorn beigebracht hatte. Als Rhavîn das Einhorn endlich erreicht hatte, hörte er das oberflächliche Atmen des grazilen Tieres. Er sah die Schlammspritzer, die sein Fell bedeckten, und das Blut – das viele, dunkle Blut, das aus den zahllosen Wunden sickerte.
„Nymion, ach Nymion“, hörte Rhavîn sich wispern. Seine Lippen bebten, sein ganzer Körper zitterte. Neben seinem Freund knickte er ein und stürzte zu Boden. Seine Finger gruben sich in den feuchten Erdboden, das schwarze Haar fiel ihm ins Gesicht.
Der Dunkelelf legte seinen Kopf auf den Körper des Einhorns, spürte, wie sich der Brustkorb unter ihm sacht hob. Leidvoll fühlte er, wie das Leben aus dem sterbenden Einhorn wich. Niemals zuvor hatte er solch heftige Trauer gekannt, nie einen so tiefen Schmerz erlebt. Die rasenden Emotionen drohten Rhavîn zu erdrücken. Er wusste, dass Nymion gestorben war, um ihn zu retten. Er fühlte sich schuldig am Tod seines Freundes. Am liebsten hätte er sich in diesem Moment ein Messer ins eigene Herz gerammt, den Schmerz durchtrennt, der ihn innerlich zerfraß, sein Leid beendet.
„Rhavîn, mein Freund“, seufzte Nymion mit kaum zu vernehmender Stimme. Er blickte den Dunkelelfen aus verdrehten Augen an. Nymion sprach in der Sprache der Sícyr´Glýnħ. Er wusste, dass N’thaldur dieser Sprache nicht mächtig war, und ihn somit nicht verstehen konnte. „Trauere nicht um mich, denn du bist nicht allein. Du brauchst deine Stärke und einen klaren Geist, um den Auftrag des Fürsten zu erfüllen.“
„Nymion!“
„Hör mir zu, Rhavîn, bitte!“, ächzte Nymion. „N’thaldur ist dafür verantwortlich, dass das gesamte Land von dieser übermäßigen Finsternis erfüllt ist. Auch das Auftauchen des Flussdämons und der Têyl´Arhyn hat er durch dieses Werk zu verantworten. Er hat schon lange versucht, dich aufzuhalten, damit du deinen Auftrag nicht erfüllen kannst, Rhavîn. Es ist sein einziges Streben.“
„Was?“ Rhavîn hörte die Worte seines Gefährten wie durch dichten Nebel.
„Als er gemerkt hat, dass du dich von seinen Kreaturen nicht abschrecken lässt, hat er beschlossen, so zu tun, als wolle er dein Verbündeter sein. Daher bietet er dir eine Stellung auf Monnovrek an. In Wahrheit aber will er lediglich erreichen, dass du deinen Auftrag nicht mehr ausführen kannst! Du darfst dich ihm nicht anschließen, Rhavîn. Der Auftrag ist von höchster Wichtigkeit. Du bist der engste Vertraute des Fürsten, er erwartet Loyalität von dir. Du bist ihm Treue und Demut schuldig, du bist sein ganzer Stolz
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