Rheines Gold
schlichte Wahrheit.«
»Euer Weg ist lang, und er wird anstrengend. Aber er führt zum Ziel - welches auch immer das ist.«
»Hoffentlich.«
»Gewiss!«
Wolfrune nahm die beiden letzten Stäbe in die Hand und betrachtete sie stirnrunzelnd. Dann sah sie zu der Wölfin hin, die sie mit einem langen Blick aus ihren goldenen Augen bedachte. Schließlich meinte Wolfrune: »Es scheint, eure Wege trennen sich in Zukunft.«
»Sicher, warum nicht? Wir sind nicht aneinander gekettet.«
»Dem einen gilt Kenaz, dem anderen Laguz. Dem einen begegnet das Feuer, dem anderen das Wasser.«
»Wem?«
»Findet es selbst heraus.«
»Wie lauten die Worte?«
»›Die Fackel ist jedem Lebenden durch ihr Feuer vertraut,
sie ist klar und hell, sie brennt meistens,
wenn die Gemeinen im Saale ruhen.‹«
»Deine Worte sind weder klar noch hell!«
»Nein? Hat die Fackel des Ehrgeizes noch nie in dir gebrannt? Hast du dich noch nie vor Leidenschaft verzehrt wie das trockene Holz auf dem Herd?«
Der Mann hielt ihrem fragenden Blick stand, aber einen Lidschlag lang zuckte ein Hauch des Schmerzes über seine Züge.
»Der andere Spruch, Weise!«, forderte er dann. Sie lachte noch einmal leise auf und rezitierte dann:
»Wasser erscheint den Menschen endlos,
wenn sie sich hinauswagen auf unsicherem Schiff
und die Meereswogen sie sehr erschrecken
und der Wogenhengst seinem Zaume nicht gehorcht.«
»Eine gute Warnung, denn wenn wir das Meer erreichen, werden die Frühjahrsstürme drohen.«
»Mehr als das, Reisender, fürchte ich. Doch vier Runen hätte ich eigentlich nicht ziehen sollen. Nun, die Zeichen bestimmen nicht euer Schicksal, sie weisen nur die Möglichkeiten auf. Seid gewarnt und handelt entsprechend. Und jetzt lasst uns essen.«
Sie bedienten sich aus dem Kessel, und später fanden die Besucher um den warmen Herd einen friedlichen Schlafplatz. Einer von ihnen jedoch schlief nicht, sondern führte ein seltsames Zwiegespräch mit der Wölfin.
Und als die Nacht am kältesten war, erhob sich das wilde Tier.
6. Kapitel
Freundinnen
Es ist nützlich, dass es Götter gibt,
und da es nützlich ist, wollen wir auch daran glauben.
OVID, ARS AMATORIA
Ob es Fulcinias Bittgebet zu den Göttern war oder reiner Zufall, das wollte Rufina nicht zu genau ergründen. Aber tatsächlich wendete sich die Lage zwei Tage nach der stillen Zeremonie am Herdfeuer zum Besseren.
Sie verbrachte den Vormittag mit Eghild im Gymnasium. Die stämmige Germanin schwang die eisernen Hanteln, als wären es Blumensträußchen. Rufina, bei weitem zierlicher und einen guten Kopf kleiner als Eghild, schnaufte etwas mehr, aber auch sie hatte sich im Laufe der letzten drei Jahre eine zähe, kräftige Ausdauer antrainiert. Sie trug eine kniekurze Tunika über einem festen Brustband und einem Leinenschurz. Ihre kurzen roten Haare ringelten sich schon feucht im Nacken, ihre helle Haut war zart gerötet und hatte einen feuchten Schimmer. Zwei weitere Frauen warfen sich müßig Bälle zu und kicherten immer, wenn ein Wurf fehlging. Es gingen viele Würfe fehl.
Eghild sah missbilligend zu ihnen hin und forderte Rufina dann auf, mit ihr eine Runde Ringen zu absolvieren. Trotz ihrer geringen Körpergröße hielt sie sich nicht schlecht gegen die kampferprobte Germanin, und als sie ihr mit Wendigkeit und Geschick die Beine unter dem Körper wegfegte, plumpste Eghild mit einem Laut der Verblüffung auf den Boden.
»Scheint, als hättest du doch etwas gelernt!«
»War vielleicht nur Glück.«
»Zeig es mir noch einmal!«
Auch diesmal gelang es Rufina, die schwerere Eghild zum Straucheln zu bringen.
»Mh. Nehmen wir die Stöcke!«
Die Ballspielerinnen beobachteten die beiden Kämpferinnen mit wachsendem Staunen. Für derartig raue Sportarten hatten sie wenig übrig. Sie ließen sich von Eghild meist einfache gymnastische Übungen und Spiele zeigen, denn es galt allgemein als kultiviert, sich körperlich zu betätigen. Rufina hatte es früher auch so gesehen, aber als sie die Therme übernahmen, hatte Maurus ihr vorgeschlagen, sich einige Kenntnisse anzueignen, mit denen sie sich unerwünschten Zudringlichkeiten erwehren konnte. Sie hatte nach kurzem Nachdenken eingewilligt. Sie erwartete zwar keine besonderen Schwierigkeiten mit den Besuchern des Bades, aber es war Barbarenland, und sie wusste, ihr Mann war ein unsteter Geist, den es nie lange an einem Ort hielt. Er würde früher oder später wieder verschwinden und sie vermutlich monatelang die Therme
Weitere Kostenlose Bücher