Rheines Gold
zügelte Silvian sein Pferd.
»Ihr Götter!«, stieß er entsetzt hervor.
Rufina versuchte zu erkennen, was ihn so bestürzte, und dann sah sie es auch.
Es hatte ein Kampf stattgefunden. Ein tödlicher Kampf, eigentlich mehr ein Gemetzel. Zwischen den Bäumen lagen vier blutüberströmte Leichen. Holdger, Aswin, Thorolf und Erkmar. Von Sabina Gallina fehlte jede Spur. Der Korb lag umgestürzt auf dem Boden.
Silvian glitt von seinem Pferd und näherte sich der Kampfstätte. Rufina drückte sich die Faust auf den revoltierenden Magen. Doch dann tat sie es ihm nach. Gemeinsam standen sie schweigend vor den Männern.
»Wir müssen zurück und es ihnen sagen«, flüsterte sie heiser.
»Ja. Das müssen wir wohl.«
»Das haben sie trotz allem nicht verdient. Sie haben uns gut behandelt.«
Ein Stöhnen ließ sie beide zusammenfahren. Rufina erkannte als Erste den Ursprung.
»Erkmar!«, rief sie und kniete neben dem Verwundeten nieder.
Der von Schmerz umwölkte Blick des Mannes fand ihr Gesicht, und er stöhnte noch einmal.
»Die Füchsin.« Dann sagte er etwas in seiner Sprache, und Rufina drehte sich zu Silvian um.
Der war schon neben sie getreten und beugte sich jetzt auch nieder.
»Du kennst seine Sprache, Silvian. Sag ihm, wir sind als Freunde gekommen. Vielleicht können wir ihm noch helfen.«
Silvian redete auf den Mann ein, und eine leichte, verneinende Bewegung erübrigte die Übersetzung. Er hatte eine klaffende Wunde über der Brust, und blutiger Schaum hatte sich bereits in seinen Mundwinkeln gebildet. Das Sprechen machte ihm Mühe, aber er sagte noch einige leise Worte.
»Was ist, Silvian?«
»Nichts.«
»Sag - es - mir!«
Der Baumeister zögerte, doch Rufinas flammender Blick ließ ihn schließlich antworten.
»Er möchte, dass ich ihm mit dem Dolch den Tod bringe. Aber das kann ich nicht.«
Rufina fühlte wieder diese seltsame Ruhe in sich aufsteigen.
»Wolfrune!«, flüsterte sie. Noch einmal traf sie Erkmars Blick.
»Ja, sie weiß. Du auch. Nicht harmlos.«
»Nein, nicht harmlos. Und wenn es sein muss...«
»Es muss. Schmerz, Füchsin.«
»Wer hat euch beauftragt?«
Silvian, jetzt völlig erschüttert, übersetzte ihre Worte.
»Aswin wusste, wir nicht.«
»Gut, ich werde tun, was ich kann. Erkmar, du warst gut zu mir. Ich...«
Tränen liefen Rufina über das Gesicht, als sie ihn zärtlich streichelte.
»Nimm die Fibel, kleine Füchsin. Ausgleich. Und mach schnell.«
»Ja, Erkmar. Möge deine Reise glücklich sein.«
Er schloss die Augen, und sein gequältes Gesicht wurde ruhig.
Sie schob ihm den linken Arm unter den Nacken, beugte sich über ihn und küsste ihn ganz leicht auf die blutigen Lippen. Mit der rechten Hand fand sie die Stelle an seinem Hals und drückte beherzt zu.
Er hatte viel Blut verloren, es war nur noch wenig Leben in ihm. Aber auch das wenige bäumte sich noch einmal auf, dann fiel sein Kopf zur Seite.
»Jupiter soter!«, flüsterte Silvian, als Rufina mit gebeugtem Haupt über dem Germanen kauerte und ihre Finger in die Erde krallte. Er verharrte lange Zeit mit ihr zusammen still vor dem Germanen. Schließlich aber bewegte er sich und löste vorsichtig die goldene Fibel von der Schulter des Toten. Ein Adlerkopf schmückte sie, und die roten Juwelen seiner Augen funkelten.
»Steh auf, Rufina. Es ist vorbei.«
Er half ihr auf die Füße und stützte sie, als sie schwankte.
»Wasser.«
»Ja, ich verstehe. Es gibt in der Nähe einen Bach. Ich führe dich.«
Es war nur ein Rinnsal, nicht wert, eingefasst und zum Kanal geführt zu werden. Aber Rufina reichte es. Sie zog ihre Kleider aus, ohne auf Silvian zu achten, und wusch sich von Kopf bis Fuß in dem kalten, klaren Nass. Sie wusch das Blut fort und ihre Tränen und die Erde an ihren Händen, und sie dachte an Wolfrune. Sie hatte einem guten Mann den Tod gebracht. Dieses Unglück hatte sie nicht abwenden können. Sie hoffte, es möge kein noch größeres auf die Germanen warten.
Mit klammen Fingern zog sie sich wieder an, doch ihr Gesicht blieb starr. Silvian versuchte, mit ihr zu reden, aber eine Antwort konnte sie ihm noch nicht geben. So blieb auch er stumm, und erst als sie zurück zu der Ansiedlung ritten, sagte sie: »Nicht der Schwangeren. Sag es nicht der Schwangeren, Silvian.«
Da sich der Nachmittag schon dem Abend entgegenneigte, hatten sich die Dorfbewohner wieder eingefunden. Rauch stieg aus den Kaminen auf, und Kinder spielten zwischen den Häusern. Ihre Ankunft löste Überraschung aus,
Weitere Kostenlose Bücher