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Rheines Gold

Titel: Rheines Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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stellte sie noch eine Frage.
    »Kennst du Wolfrune, Halvor?«
    Ein seltsames Lächeln huschte über sein bärtiges Gesicht.
    »Natürlich.«
    »Sie hat gesagt, ich könne möglicherweise ein Unglück abwenden.«
    »Hoffen wir es.«
    »Sie hat auch gesagt, das Gold sei euer Unglück.«
    »Wie wahr, kleine Domina.«
    »Seht auch ihr euch vor, Halvor. Kommt nicht in die Stadt. Stellt Wachen um euer Dorf auf. Ich habe ein sehr ungutes Gefühl. Wer immer Sabina Gallina befreit hat, tat es mit unnötiger Gewalt und Grausamkeit. Wer weiß, wie alles zusammenhängt.«
    »Aurelia Rufina, ich nehme deinen Rat an. Wenn du schon nicht aufhören kannst, Fragen zu stellen, so tu es nicht jetzt. Hab Geduld, kleine Domina. Bitte.«
    »Ich will sehen.«
     
    Silvian ritt neben dem Karren her, das zweite Pferd hatte er bei Halvor gelassen.
    »Ich muss morgen zurück, Rufina. Aber ich werde so schnell wie möglich wieder in die Colonia kommen. Wirst du mich empfangen?«
    »Ja, Silvian!«, antwortete sie müde. Den Rest des Weges schwiegen sie.

19. Kapitel
    Lemuria, das Fest der hungrigen Toten
    Wenig begehren die Toten;
sie ziehen die Frömmigkeit reichen Gaben vor;
unten die Styx kennt keinen gierigen Gott.
    OVID, DE FASTI
     
    Fünf Tage zuvor war Lemuria, das Fest der hungrigen Toten, angebrochen. Die breite Straße, die von Süden zu den Mauern der Colonia führte, wurde von den Gräbern der verstorbenen Bürger gesäumt. Manche waren wie gepflegte Gärtchen angelegt, andere marmorbedeckt mit hoch aufstrebenden Obelisken, jene der reichen Familien zierten gar kleine Tempel. Fromme Erben hatten Altäre aufgestellt, weniger fromme oder ärmere lediglich einfache Gedenksteine.
    Alle aber hatten in diesen Tagen Opfergaben erhalten, Kuchen, Brot, in Wein geweicht, süße Früchte, manch eine Leckerei, die der Verstorbene zu Lebzeiten geliebt hatte, lag in Schälchen und Schüsselchen auf den Gräbern.
    Der Mond erweckte die umherhuschenden Schatten zwischen den Gräbern zum Leben. Einer dieser Schatten war sehr hungrig, und als er sein eigenes Grab erreicht hatte, erfreute er sich an den reichen Gaben, die er dort vorfand. Vor allem die getrockneten Aprikosen verzehrte er mit großem Genuss und dachte mit schmerzhafter Sehnsucht an die Spenderin. Doch er aß hastig, denn immer wieder lauschte er in die silberne Mondnacht hinaus. Wann endlich würde sein Gefährte erscheinen?
    Nichts rührte sich, außer den anderen hungrigen Geistern, die sich, in Lumpen gehüllt, mit den Gedenksteinen und Säulen verschmolzen, an den Opfergaben gütlich taten.
    Als die Mitte der Nacht überschritten war und der volle Mond sich zum Horizont neigte, verschwanden auch sie. Nur der eine wanderte noch immer suchend und wartend an den Gräberreihen entlang. Er begann zu zweifeln, ob seine Botschaft abgeliefert worden war. Gedankenverloren starrte er auf das ferne Tor, das in die Stadt hineinführte. Sollte er es wagen? Doch dann entschied er sich dagegen. Die Gefahr war zu groß. Er hatte Wissen erworben, das ihn mehr als vorsichtig gemacht hatte gegenüber einem Mann, der vor Jahren seinen Bruder ermordet hatte, um in den Genuss seines Erbes zu kommen. Einem machtgierigen, skrupellosen Mann, dessen Tat von seiner Familie zwar vertuscht worden war, die ihn aber gezwungen hatte, Amt, Würden und Bindungen aufzugeben und ohne Besitz in das ferne Germanien zu ziehen. Wenn jener Mann erfuhr, dass er nicht ruhig in seinem Grab lag, dann würde er dafür sorgen, diesen Umstand schnellstmöglich herzustellen.
    Je länger er darüber nachdachte, desto größer wurden seine Bedenken. Es musste etwas geschehen sein! Seinen Begleiter auf der langen Reise, der zwei Wochen vor ihm aufgebrochen war, hinderte etwas daran, an dem verabredeten Treffpunkt zu erscheinen. Noch nicht einmal eine Botschaft hatte er an der ausgemachten Stelle hinterlassen.
    Schließlich traf er eine Entscheidung. Er würde in die Wälder gehen, dort hatte er verlässliche Freunde, die ihm helfen konnten, all die Dinge zu erfahren, die sich in den drei Monaten seiner Abwesenheit ereignet hatten. Doch bevor er sein Bündel aufnahm, kehrte er noch einmal zu seinem eigenen Grab zurück.
    »Aurum id fortuna invenitur, natura ingenium bonum«, hatte man ihm auf den schlichten Stein gemeißelt und mit roter Farbe ausgelegt. »Gold erhält man vom Glück. Die Natur aber schenkt die gute Veranlagung.«
    Er lächelte. Eine Inschrift, die zu der Rolle passte, die er spielte. Dann aber wurde er ernst, als er

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