Rheingau-Roulette
urbanem Leben direkt vor der Tür anbot, aber eben auch die Schattenseiten dieses Daseins nicht durch Prospektseiten geschönt darstellte. Den Lärm und Dreck wollte sie an ihrem neuen Wohnort nicht mehr haben. Auch wenn das Leben hier nicht einfacher war als ein paar Kilometer stadteinwärts, so war es doch ruhiger und eindeutig dörflich geprägt. Sie kannte den Bäcker, die Lottofrau und die Kassiererinnen in der nahen Einkaufspassage. Die kannte man normalerweise auch im Kiez. Aber hier musste sie nicht morgens über den liegen gebliebenen Müll von Touristen, noch schlafenden Pennern und die scheißenden Hunde von drogendealenden Kindern steigen, die einem den Appetit auf das Frühstücksbrötchen versauten.
Das Gefühl von Enge, das man in kleineren Ortschaften bekommen kann, weil jeder jeden kennt und man sich so selten unbeobachtet fühlen kann, war Alexandra nicht fremd. Aber es bedurfte nur ein paar Stationen mit der Regionalbahn, um diesem Gefühl der Bedrängnis zu entkommen.
Und wenn sie nach einem Besuch auf dem Kudamm wieder in das beschauliche Dasein des Speckgürtels zurückkam, war sie froh, dem Lärm und dem Stress der Stadt entkommen zu sein. Wenn dann noch Caro anrief, um sie spontan zum Grillen in den Garten einzuladen, dann war sie zutiefst glücklich und dankte dem Schicksal und Leila für die Fügung, die sie nach Rangsdorf gebracht hatte.
Judith -4-
Milan war da. Es war schwierig diesmal. Nur unter Murren hatte er sich bereit erklärt, in Alexandras Haus einzubrechen und den Boiler zu manipulieren. Es ging nicht darum, dass er ihr nicht helfen wollte. Aber er hatte Angst, dass seine Anwesenheit auffallen würde, und das wäre für seine anderen Projekte gefährlich. Judith lachte auf. Was das auch immer für Projekte sein würden. In jedem Fall waren es strafbare Unternehmungen.
Sie hatte zwischendurch überlegt, ob sie rausfinden sollte, was Milan eigentlich trieb, wenn er in Deutschland war. Aber als sie einmal sein Handy in der Hand hatte und versuchte, auf die Anruferliste zu sehen, hatte er sie erwischt. Und sie hatte ihm sofort geglaubt, als er vor ihr stand, ihr Handgelenk mit seiner linken Hand wie in einem Schraubstock gefesselt und er mit Eiseskälte in der Stimme sagte: „Wenn du das noch mal versuchst, bist du tot!“
Er sagte es auf Bulgarisch. Die Sprache, deren slawischer Klang in ihrer deutschen Küche so streng und fremd klang und den Inhalt des Satzes unterstrich. Das machte ihn umso bedrohlicher. Sie hatte danach sorgsam darauf geachtet, sein Handy nie mehr anzufassen. Selbst wenn es ihr beim Putzen im Weg lag, fasste sie es nicht an, sondern putzte drum herum. Die Angst, die er ihr einflößen konnte, war unbeschreiblich.
Eigentlich hatte sie gewollt, dass Alexandra zu Hause war, wenn der Brand beginnen würde. Es sollte nachts passieren und sie hatte Milan extra aufgefordert, nach Brandmeldern Ausschau zu halten und sie zu zerstören. Sie wollte sicher gehen. Diese Frau musste weg. Vielleicht musste auch Hannes weg.
Milan hatte gesagt, er hätte keine Kontrolle darüber, wann die marode Elektrik ihren Geist aufgäbe. Sie wusste nicht, was er gemacht hatte. Sie wusste auch nicht, ob Milan ihr die Wahrheit gesagt hatte, oder ob er plötzlich Skrupel entwickelte.
Aber der erwünschte Erfolg war ausgeblieben. Alexandra lebte, aber das Haus war zerstört. Und das war eher noch ein Vorteil für Alexandra, wie sie wusste.
Wütend schrubbte sie ihr Badezimmer. Sie hatte heute schon dreimal geduscht, jedes Mal, wenn Milan sich über sie gestürzt hatte. Sie fühlte sich wund und sie hatte keine Lust mehr, seinen perversen Wünschen nachzukommen. Aber sie wusste auch nicht, wie sie sich zur Wehr setzen sollte. Er fragte nicht, er nahm sie einfach. Zärtlichkeiten fand er überflüssig. Je länger sie sich kannten, umso unflätiger wurde er ihr gegenüber.
Milan war ein gut aussehender Mann. Er war mittelgroß und schlank. Seine dunklen Haare waren kurz und immer trug er Jeans und Turnschuhe. Er sah gepflegt und unauffällig aus, ein Grund, weshalb er noch nie von der Polizei angesprochen wurde, wie er meinte. Seine wechselnden Autos, mit denen er unterwegs war, waren immer unauffällige Autos mit deutschen Kennzeichen. Nie gestohlen, immer geliehen. Seine Tarnung war die eines Geschäftsmannes. Die schmutzigen Geschäfte, die diese Tarnung notwendig machten, kannte sie nicht. Manchmal fragte sie sich, ob er etwas mit dem internationalen Frauenhandel zu tun hatte,
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