Rheingau-Roulette
Grundstück aufhalten könnten.
Stumm standen die Cousinen in Alexandras Garten und schauten auf die verbrannten Reste. Ein Teil der Vegetation hatte sich schon wieder erholt, was bei der Hitze und dem fehlenden Regen mehr als erstaunlich war. Die Fliederbäume ragten nur noch als verkohlte, kahle Stümpfe hervor und Alexandra konnte die Tränen, die ihr bei diesem Anblick in die Augen traten, nicht mehr zurückhalten. Tröstend legte Caro die Arme um sie.
„Du schaffst das. Lass ein bisschen Zeit vergehen, das hilft. Sei froh, dass dir nichts passiert ist und dass die Sachen, die unersetzbar sind, sicher bei Hannes in der Scheune liegen.“
Alexandra nickte.
„Und komm erst nach deiner Praxiseröffnung wieder hier her. Vorher kannst du sowieso nichts regeln. Oder weißt du mittlerweile, was du mit dem Grundstück machen willst?“
Alexandra schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Ich bin immer noch wie gelähmt, wenn ich an den Brand denke.“ Sie lächelte ihre Cousine verhalten an. „Im Grunde konnte mir nichts Besseres passieren. Das Haus hätte ich vermutlich ohnehin abreißen lassen. Nicht nur wegen der Elektrik. Es war insgesamt mehr als nur etwas renovierungsbedürftig. Da wäre nie was Richtiges draus geworden.“ Sie hockte sich auf den Boden nieder und schob mit der Hand den kleinen Haufen Schutt zur Seite, dort wo vor drei Wochen noch ihr Tränendes Herz stand und nun nur noch dreckige Erde lag.
Caro nickte. „Aber es ist etwas Anderes, wenn man sich entscheidet, sich von einem Haus mit einem Abbruch zu trennen, oder ob einem die Entscheidung durch einen Brand genommen wird. Zumal man sich dann vorher hätte entscheiden können, ob die Sommergarderobe wirklich so hässlich ist, um sie verbrennen zu lassen ...“ Sie lächelte Alexandra an, die zaghaft zurücklächelte.
„Natürlich. Vor allem weiß man vorher, wo man die nächsten Wochen bleiben kann, bis der Neubau steht.“
„Ach Letzie, momentan drängt es dich doch nicht. Du bist in Hannes‘ Atelierwohnung gut aufgehoben und wenn die Praxis läuft, dann kannst du dich dem Thema Bauen widmen. Bei dem Grundstück und der Möglichkeit es zu teilen und zu verkaufen, wird dir die Bank so viel Geld in Aussicht stellen, dass du einen Palast bauen kannst!“
Alexandra musste trotz ihrer bitteren Gefühle lachen. „Klar. Ich baue mir einen riesigen Palazzo Prozzo. Mit weiß geklinkerter Fassade, orange-gelben italienischen Terrakotta-Fliesen und mit hochglänzenden Dachziegeln in Blau! Vor dem Haus eine mit weißem Kies bestreute Auffahrt bis vor die Haustür und das Tor ist selbstredend elektronisch.“
Caro schüttelte sich. „Brrrrh. Auf jeden Fall mit Säulen vor der Tür und der Gartenzaun ist so blau wie das Dach.“
„Und ob. Säulen vor der Tür muss ich haben. In blau! Und daneben stehen zwei hässliche Buxbäume, die wie Vögel beschnitten sind.“
Sie lachten.
„Na, da wären wir ja wieder beim Thema. Beschnitten und vögeln.“
„Caro, du Sau. Du denkst immer nur an das Eine.“
Seufzend sagte Caro: „Ich wünschte, ich müsste nicht immer nur drüber reden und dran denken ...“ Sie lachte Alexandra vielsagend an. „Komm. Lass uns den Ort des vorübergehenden Schreckens verlassen. Isst du mit uns heute Abend?“
„Aber gern. Ich habe meine kleinen Nichten drei Wochen nicht gesehen, das Theater am Abendbrottisch kann ich mir nicht entgehen lassen.“
Caro seufzte. „Da sagst du was. Das Theater heute Abend ist vorprogrammiert: Es gibt keine Nudeln!“
Am Samstag der Praxiseröffnung erwachte Alexandra aus einem Albtraum. Ratten und andere Nagetiere hatten ihre Praxis überfallen und alles zerstört, was sie in den vergangenen Tagen dort aufgebaut hatte. Die Wände der Praxis waren blutrot verschmiert, der Schriftzug „Hure“ prangte auf jeder Wand. Der ganze Freundeskreis war ihr spontan zur Hilfe gekommen, nur Hannes nicht. Als sie wach wurde, lag sie schweißgebadet in der Atelierwohnung. Fieberhaft überlegte sie, ob ihr Traum etwas mit der Wirklichkeit und dem derzeitigen Stand ihrer Beziehung zu Hannes zu tun hatte.
Sie stand rasch auf und duschte. Ein deutlicher Vorteil einer modernen Wohnung, wie sie unter der Brause feststellte. Sie hatte schon fast vergessen, wie fürchterlich die sanitären Anlagen in Oma Liesels Haus waren. Sie genoss das Wasser und dachte an Hannes.
Seit dem verhängnisvollen Tag des Brandes war sie mit ihm nicht mehr allein gewesen. Sie wusste, dass es zwischen ihm und seinem
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