Rheingau-Roulette
waren, lächelte die Frau und sprach sie an: „Morgen Frühaufsteherin. Wie war die Runde?“
Alexandra lächelte zurück: „Schwerfälliger als ich mir wünsche. Ich muss mein Training umstellen.“
Das Neonjäckchen winkte: „Na dann, viel Erfolg. Bis übermorgen!“
Sie erhöhte ihr Tempo und verschwand auf dem Weg, den Alexandra gerade gekommen war. Alexandra lächelte vor sich hin. Das Neonjäckchen begegnete ihr seit einigen Tagen regelmäßig auf der Laufstrecke. Sie hatten sich angewöhnt, sich zu grüßen und drei vier Sätze miteinander zu wechseln. Sie amüsierte sich über das schrille Outfit der jungen Frau, die bei jeder Begegnung durch andere stark kontrastierende Farben auf sich aufmerksam machte. Langsam überlegte Alexandra schon, ob sie ihre langweilige Laufkluft nicht auch ein wenig aufpeppen sollte. Die Fröhlichkeit, die das Neonjäckchen ausstrahlte, war jedenfalls ansteckend.
Ihre Fröhlichkeit hielt an, bis sie zu Hause ankam. Dort wurde ihr schnell bewusst, dass sie noch einen Gang zur Polizei machen sollte, um eine Anzeige zu erstatten.
Auf ihrer Treppe lag in der Morgensonne eine tote, halb verweste Ratte. Alexandra fluchte.
Immerhin war der Polizist nett und höflich, als er ihre Anzeige aufnahm. Das Polizeirevier von Rangsdorf war eine schmale, enge Büroflucht im Erdgeschoss einer kleinen Geschäftseinheit.
Herr Schmidt hieß der diensthabende Polizist. Seine Uniformjacke hatte er leger über einen Stuhl gehängt und in der Hitze des kleinen Büros glänzte seine Glatze so rot wie die Mütze von Rotkäppchen. Sein Hemd war über dem Bauch prall gespannt und sein hohlkreuziger Gang ähnelte dem Gang einer Hochschwangeren. Er war freundlich und nahm sich viel Zeit für seine Tätigkeit. Seine Bewegungen erschienen ihr wie im Zeitlupentempo ausgeführt und so verbrachte Alexandra etwa eine Dreiviertelstunde auf dem Revier, nur um letztlich doch unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Der Polizist würde den Sachverhalt, der ja schon bekannt wäre, an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeben und der würde sich bei ihr melden.
Glühende Hitze stand über dem Ort. Beißend stand der Geruch von Dung in der Luft, Landluft, wie man sie nicht im Speckgürtel Berlins erwarten würde. Das Haus, das Doro und Fritz mit ihren Kindern bewohnten, lag an einer schmalen Sackgasse am östlichen Rande des Dorfes. Als Alexandra, schwer beladen mit verschiedenen Dosen, in denen sie Antipasti und Salat transportierte, mit dem Ellbogen den großen roten Klingelknopf betätigte, öffnete ihr eine kleine, gepflegte alte Dame in luftiger Abendgarderobe.
„Ja bitte?“
Mit strengem Blick und hochgezogenen Augenbrauen musterte die Frau Alexandra kühl.
„Guten Abend. Ich bin Alexandra Rabe und möchte zu Dorothea Kern“, sagte Alexandra. Der prüfende Blick der Frau glitt von oben bis unten an Alexandra entlang. Sie fühlte sich etwas unwohl, so, als ob sie examiniert würde. Aus dem Hintergrund ertönte Gelächter und Musik.
„Meine Schwiegertochter ist beschäftigt. Um was geht es denn?“
„Nun ...“, Alexandra fehlten angesichts der strengen Musterung die Worte.
„Um einen Besuch, Hanne. Wir sind zu Doros Party eingeladen!“ Wie aus dem Nichts war Hannes neben Alexandra aufgetaucht und schob sie zur Tür hinein. Er küsste Hanne auf die Wangen und sagte: „Es ist wie jedes Jahr um diese Zeit. Wir feiern Doros Geburtstag!“
„Davon hat sie mir nichts gesagt. Ich möchte ins Theater und hier findet ein Fest statt? Warum lädt sie mich nicht ein?“, entrüstet schob die Frau die Tür hinter ihnen zu.
Hannes lächelte sie an. „Aber Hanne, du bist doch eingeladen. Hast du dich nicht deswegen so schick gemacht?“ Er legte einen Arm um ihre Schultern. Er flirtete mit der alten Dame und seine Stimmlage war sanft wie Samt.
„Du siehst übrigens toll aus!“
„Ich warte auf Liesel. Wir wollten zusammen ins Theater gehen.“ Nervös zupfte sie an ihrer Handtasche.
„Aber Liesel kann heute nicht. Sie hat Alexandra gebeten, es dir auszurichten. Alexandra ist Liesels Enkelin, kannst du dich erinnern?“
„Ach wie schön, Alexandra! Guten Tag.“
Die Veränderung im Gesicht der alten Dame war erstaunlich. Aus dem strengen Gesichtsausdruck wurde urplötzlich ein weiches Lächeln, das von einer entspannten Körperhaltung begleitet wurde. „Du bist aber groß geworden. Und so hübsch!“
Alexandra lächelte unsicher. Ihr Blick schweifte fragend zu Hannes, der sie leicht belustigt
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