Rheingau-Roulette
Sie war wie ihre Mutter.
Hannes war anders. Er war so liebenswürdig mit ihr umgegangen.
Sie erinnerte sich an Tage, an denen er sie morgens mit einem Frühstück geweckt hatte. Wie er so selbstverständlich um ihre Meinung fragte, wenn er Rat brauchte und ihren Argumenten zuhörte. Seine Freundlichkeit, die ihn im Alltag umgab. Seine Standpunkte, die er im Streit laut und hitzig, mit Freude an der Auseinandersetzung, aber niemals respektlos ihr gegenüber verteidigte.
Ja, Respekt. Das erlebte sie bei ihm zum ersten Mal. Respekt und eine Art umfassende Liebe. Ein Mann, mit dem man streiten konnte, ohne dass er handgreiflich wurde, oder sie demütigte. Das wollte sie nicht mehr hergeben.
Die Angst, ihn zu verlieren, kam schleichend. Jeden Morgen war sie aufgewacht und hatte das bösartige und schmerzhafte Herzklopfen gespürt, wenn sie wieder geträumt hatte. Jede Nacht verließ er sie. Jede Nacht trennte er sich wegen einer anderen Frau von ihr. Jedes Wochenende, wenn sie morgens ihre Hand ausstreckte und sie sacht unter die Decke neben sich schob, um zu spüren, ob er noch da war, fühlte sie nur kurz die Erleichterung, wenn seine Hand nach der ihren griff und sie zart streichelte. Gleich nach der Erleichterung kamen die Zweifel. Streichelte er sie, oder die Frau, die er während der Woche vielleicht in seinem Bett liegen hatte? Während er Brötchen holte, hatte sie alle aktuellen Briefe kontrolliert, wenn er duschte, hatte sie sein Handy überprüft, und wenn er abends schlief, stand sie noch mal auf, um den Computer hochzufahren und seine E-Mails zu lesen.
Sie musste, musste ihn kontrollieren, sonst würde sie wahnsinnig. Wenn sie es nicht tat, konnte sie nicht essen, nicht trinken und nicht schlafen. Sie konnte nicht anders. Ihr Körper reagierte mit Herzklopfen, die sich zu heftigen Schmerzen ausweiteten, der Puls raste. Sie bekam Schwindelattacken und die Wirklichkeit veränderte sich. Wie in einem Tunnel zog sie sich zusammen und zog sie mit, mit hinein in einen dunklen Strudel voller Angst.
Nein. Sie konnte nicht anders. Und sie wollte ihn behalten.
Sie kannte die anderen Schlampen. Sie wollten alle so einen Mann. Deshalb mussten sie in ihre Grenzen gewiesen werden. Sie musste doch auf Hannes aufpassen.
3. Kapitel: Juni
Die Geburt von Stellas und Franks drittem Kind wurde gebührend gefeiert. Kollegen und Freunde waren gekommen und alle hatten Geschenke für das Neugeborene und die Eltern mitgebracht. Auch Alexandra stattete Frank einen Besuch ab. Müde von der durchwachten Nacht, dem aufregenden Tag nach der Geburt, saß er glücklich lächelnd auf dem Sofa und ließ seine Freunde machen. Nachdem er Stella gegen drei Uhr morgens mit dem Kind schlafend in der Klinik zurückgelassen hatte, hatte er den Rest der Nacht mit Hannes im Atelier verbracht, wo sie die Ankunft des Kindes feucht-fröhlich feierten.
Caro war mit den Kindern und Doro zu einem Besuch bei Stella gefahren und die verbliebenen Gäste tranken mit dem Vater auf den Sohn namens Magnus.
„Auf die Männer der Familie Wegemuth. Pünktlich wie die Maurer!“
Arnos Worte bezogen sich auf den Geburtstermin am dritten Juni, den der kleine Magnus pünktlich eingehalten hatte, wenn auch denkbar knapp. Er war in der Nacht drei Minuten nach Mitternacht auf die Welt gekommen. Arno hob sein Glas und prostete Frank zu.
„Nach dem Theater hätte er ruhig früher kommen können.“
Frank erhob ebenfalls sein Glas. „Aber was soll´s. Hauptsache gesund und munter. Und rechtzeitig, bevor die Weltmeisterschaft losgeht. Auf den Kleinsten der Wegemuths!“
„Weltmeisterschaft“ war das Stichwort und sofort begannen die Männer, über Fußball, die kommende Woche und das Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft zu spekulieren. Welcher Spieler wann und wie aufgestellt würde, wer noch Verletzungen auszukurieren hätte oder sich hoffentlich nicht noch vor dem Turnier verletzen würde. Die Vorfreude der Männer auf dieses Ereignis war deutlich spürbar. Zunehmend gelangweilt von dem Thema überlegte Alexandra, wie sie sich nützlich machen könnte und begann, die überall verstreuten Gläser von bereits gegangenen Gästen einzusammeln. Als sie die Gläser in die Küche bringen wollte, nahm ihr Andrea ein Tablett ab. „Lass dir helfen“, und folgte ihr in die Küche.
Sie kannte sich in der Küche gut aus und begann die Spülmaschine einzuräumen, während Alexandra die Gläser abwusch, die nicht mehr in die Maschine passten.
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