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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Schwindelgefühl. Benommen lehnte er sich an die Stute. In ihm stieg das Bild einer Frau in den Wehen auf, die ein Schwert umklammerte, während ein Mann mit einem Dolch Runen in ein Holz schnitzte, um das Kind zur Welt zu bringen. Eine Rune mit einem sonderbaren Namen stand Sigfrid plötzlich klar vor Augen. Er atmete langsam ein und versuchte, aufrecht zu stehen, bevor er die Rune in die Luft zeichnete und dabei leise sang: »Ansuz... Ansuz...« Ein sanfter Wind schien durch ihn hindurch zu wehen, aus seinem Mund zu strömen und durch seine Hände in Harifax zu dringen, während er das Galdor-Lied der Runen sang, um dem neuen Leben den Weg zu öffnen, damit es aus den verborgenen Welten hervortreten konnte. Harifax warf den Kopf hoch und stieß ein durchdringendes Wiehern aus, als ihr Leib sich plötzlich öffnete und das Fohlen in einer heißen schwarzen Blutwelle herauskam. Ein heftiger Windstoß kühlte Sigfrids Kopf, die Stalltür schlug laut, und die Stute sank zu Boden. Eine dunkle Blutlache breitete sich unter ihr aus, während das Fohlen unsicher aufstand. Ohne nachzudenken, tat Sigfrid, was er bei seinem Vater und Rodger so oft gesehen hatte. Er zog den schleimigen Beutel von den Nüstern und dem Maul des Neugeborenen, damit es atmen konnte, verknotete die Nabelschnur, die das Fohlen mit der Stute verband, und biß sie ab. Dann kniete er neben Harifax nieder, um zu sehen, ob er ihr vielleicht helfen konnte, obwohl er wußte, daß sie tot war.
    Rodger und Alprecht kamen eilig in den Stall und blieben wie angewurzelt stehen, als sie sahen, daß sie zu spät kamen. Alprecht legte Sigfrid die Hand auf die Schulter und zog ihn hoch. »Das hast du gut gemacht«, sagte er leise. »Sieh nur, es ist ein gesundes Hengstfohlen.« Sigfrid gab keine Antwort.
    »Niemand hätte es besser machen können«, sagte Alprecht. »Es ist nicht deine Schuld, daß sie sterben mußte.«
    »Ich kann es nicht verstehen...«, murmelte Rodger kopfschüttelnd, »aber wir sollten sie aus dem Stall schaffen und die Erde abtragen, bevor das Blut zu tief in den Boden dringt. Außerdem müssen wir das Fohlen zu einer anderen Stute bringen, die bereits Milch hat und es säugen kann.«
    Sigfrid bückte sich stumm, legte die Arme um Harifax und zog sie langsam aus dem Stall. Rodger wollte ihm helfen, aber er schüttelte energisch den Kopf.
    »Ich... mach es allein«, stieß er keuchend hervor. »Sigfrid... sie ist zu schwer für dich«, sagte Alprecht, aber Sigfrid ließ sich nicht beirren. Als er mit dem toten Pferd draußen angelangt war, sank er auf den eisigen Boden. Er wollte weinen, aber er konnte nicht. Die Tränen stauten sich hinter seinen brennenden Augen. Hämmernde Schmerzen in seinem Kopf machten ihn benommen. Sigfrid ging zurück in den Stall, um eine Schaufel zu holen, und sah, daß Alprecht und Rodger in sicherem Abstand vor dem Fohlen standen. Alprecht hielt sich den rechten Arm.
    »Wie sollen wir ihn zu der Stute bringen, wenn er sich nicht festhalten läßt?« schimpfte Rodger. »Ich glaube, wir holen die Stute hierher.«
    »Gut«, stimmte Alprecht zu und rieb sich den Arm. »Ich möchte wissen, welcher Hengst der Vater ist. Ich habe noch nie erlebt, daß ein neugeborenes Fohlen so heftig ausschlägt.«
    »Um ihn einzureiten, müssen wir wahrscheinlich Loki rufen«, sagte Rodger, nahm die Schaufel von der Wand und begann, die blutige Erde abzutragen, »wenn er so lange lebt.«
    Wortlos nahm ihm Sigfrid die Schaufel ab und begann zu graben. Er warf die dunkle Erde durch die Tür nach draußen, während Alprecht und Rodger Stute und Fohlen zusammenbrachten. Nachdem Sigfrid die blutige Erde aus dem Stall geschaufelt hatte, lief er in den Wald und sammelte Holz für einen Scheiterhaufen. Er zerrte an den Ästen und brach die gefrorenen Zweige, bis ihm die Hände bluteten und die Schmerzen selbst durch die gefühllosen, kalten Finger drangen. Erst dann holte er aus der Halle eine der großen Äxte, mit denen die Knechte das Feuerholz spalteten. Während er um Harifax einen Wall aus Holz aufschichtete, quälte ihn noch immer das Gefühl, er habe die Stute umgebracht. Es war bereits dunkel, als Sigfrid Harifax völlig mit Holz bedeckt hatte. Der zunehmende Mond leuchtete kalt auf den dunklen Haufen aufgeschichteter Äste und Zweige. Der Scheiterhaufen wird so hell brennen wie der eines Helden, dachte er, ein Feuer, wie es dieser Stute gebührt. Er blieb stehen und dachte nach, dann ging er in den Stall und tastete sich in der

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