Rheingold
die Arme, daß er sie beinahe erdrückte.
Herwodis rang lachend nach Luft. Als sie wieder sprechen konnte, sagte sie: »Wie es aussieht, hast du Glück gehabt, Sigfrid.« Alprecht strahlte. »Hast du Lingwe getötet und Sigmund gerächt?«
»Ja.«
»Ich hoffe, du wirst eine Weile zu Hause bleiben«, sagte seine Mutter.
»Solange ich kann«, erwiderte Sigfrid vorsichtig. Alprecht blickte zu den Sachsen hinüber, die mit ihrer Habe die Schiffe verließen und begannen, sich hinter Sigfrid zu sammeln. »Wer sind diese Leute? Sind es Gefangene?« »Nein, sie sind jetzt frei. Sie oder ihre Eltern gehörten zu Sigmunds Volk. Sigmund wollte sie in ein besseres Land im Süden führen, weit weg von den Überschwemmungen im Winter, wenn Lingwe nicht...«, er schwieg und fügte dann schnell hinzu: »Ich wollte etwas zu Ende bringen, was einmal begonnen wurde.« Alprecht überlegte und strich sich dabei über den Bart. »Wie viele hast du mit dir gebracht?« »Ungefähr zweihundert.«
»Zweihundert«, sagte Alprecht nachdenklich und sah Herwodis an. »Können wir zweihundert Menschen bis zum Sommer ernähren? Und was sollen wir mit ihnen anfangen?«
»Wir können Korn und Fleisch für sie kaufen«, erwiderte Herwodis. »Ich bin sicher, Sigfrid kehrt nicht mit leeren Händen zurück und einem Haufen hungriger Sachsen.« Sie blickte ihren Sohn fragend an, der nickte und stolz seinen Arm hob, an dem schwere Goldreifen schimmerten. Sie lächelte und fuhr wieder an Alprecht gewandt fort: »Die Götter wissen, hier gibt es viel Arbeit, die ruhen mußte, als Sigfrid mit einem großen Teil deiner Krieger im Norden war.« Alprecht nickte. Er ging zu den Männern, die vor den Schiffen Aufstellung nahmen, um sie zu begrüßen.
Hildkar beaufsichtigte mehrere Sachsen, die schwere Truhen vom Flaggschiff trugen. »Wenn ihr sie ins Wasser fallen laßt, werde ich euch bei lebendigem Leib ersäufen«, rief er drohend. »Wir haben nicht gekämpft, um das Feuer im Rhein mit dem Gold der Sachsen wieder leuchten zu lassen.«
Sigfrid lächelte stolz und wies auf die Truhen mit der Beute. »Davon können wir alle den Winter hindurch und noch ein bißchen länger ernähren«, erklärte er selbstbewußt. »Die Nordsee mag das Land der armen Bauern verschlingen, aber als Seeräuber sind sie dort oben reich!«
Alprecht blickte auf die Truhen und dann auf die fünf langen schlanken Sachsenschiffe, die hinter der Flotte ankerten, mit der Sigfrid abgefahren war. Dann sagte er so laut, daß alle es hörten: »Wir werden noch heute abend ein Festmahl halten. Wir wollen Sigfrids Sieg feiern, unsere neuen Gefolgsleute begrüßen -und die Krieger ehren, die im Nordland gefallen sind.«
8
DER DRACHE
Sigfrid stand lange vor dem Morgengrauen auf. Der neugefallene Schnee knirschte unter seinen Schuhen. Der Ostaramond würde bald voll sein, und in weniger als einer Woche begann der Sommer. Sigfrid dachte an seinen Juleid und wollte nicht länger untätig warten, sondern endlich zum Drachenfels aufbrechen. Er lief zu Regins Hügel, aber kein Rauch stieg aus der Schmiede auf, und das Tor war verschlossen.
Er schlug mit der Faust gegen das Tor, bis er das Echo der Schläge im Felsen hörte. »Wo bist du, Regin? Schläfst du noch?« Als keine Antwort kam, blickte er auf den Boden vor der Höhle. Er hatte den Schnee vor dem Eingang zertrampelt, aber etwas weiter entfernt sah er deutlich den Abdruck von Regins kleineren Füßen. Seine Spur führte um die Höhle herum in den Wald. Sigfrid folgte Regins Fußabdrücken lautlos, als schleiche er sich an einen Feind heran. Hin und wieder hatte Regin den Schnee zur Seite geräumt und dicht unter der gefrorenen Erde nach etwas gegraben. Was er da gesucht haben mochte, konnte Sigfrid sich nicht vorstellen. Ein kalter Windhauch fuhr ihm plötzlich über den Kopf. Erstaunt blickte er nach oben und sah direkt über sich zwischen den Zweigen den Schatten einer Eule.
Das Mondlicht fiel noch so kalt und weiß wie im tiefen Winter auf die Bäume. Die hellen Strahlen verzauberten ihn. Wie gebannt blieb er stehen. Sollte er wirklich alles hinter sich lassen und den Kampf gegen ein Ungeheuer wagen, das nicht von dieser Welt war?
Es ist von dieser Welt, erinnerte er sich. Ich habe den Drachen mit eigenen Augen gesehen, und der Fluch des unseligen Rheingolds lastet auch auf mir. Ich muß den Kampf wagen, denn sonst bin ich dem Unheil des Schicksals verfallen und ein Feigling. Der weithin hallende Ruf der Eule ließ ihn
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