Rheingold
verschlungene Laken fesselte sie wie ein dickes Seil.
Als sie das Laken von sich geworfen hatte, blieb sie still und heftig atmend liegen, bis das laut klopfende Blut wieder langsamer durch ihre Adern floß. Nach einer Weile stand sie auf, trat ans Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Nur wenige Sterne funkelten schwach am nächtlichen Himmel. Der Mond war bereits untergegangen, und der Rhein lag in tiefer Dunkelheit.
Gudrun ging zu ihrem Bett zurück. Sie hob die Decke vom Boden auf und legte sie über die kalten Füße. Dann holte sie tief Luft und atmete so langsam wie möglich aus. Sie wollte an etwas Schönes denken und wieder einschlafen. Morgen war das Ostarafest, und Sigfrid - Sigfrid würde vielleicht kommen. Er hatte sich als Krieger im Kampf bewährt und kam jetzt als ehrenvoller Held, um sie zu heiraten, wie er es geschworen hatte. Sie konnte sich noch gut an ihn erinnern, an die leuchtend blauen Augen, deren durchdringendem Blick sie nicht standhalten, aber von dem sie sich auch nicht losreißen konnte. Ihr gefielen seine lange, schmale Nase und die hohen Wangenknochen. Dichte helle Haare fielen über seine Schultern. Auch die klare, weithin hallende Stimme, mit der er damals das Verlöbnis besiegelt hatte, würde sie nie mehr vergessen. Sie erinnerte sich an sein ungezwungenes Lächeln und an sein fröhliches Wesen. Er war so unbeschwert, als gäbe es nichts auf der Welt, vor dem man Angst haben müßte. Schon damals war er sehr stark gewesen. Nach seinem sorglosen Händedruck hatte ihr die Hand noch lange geschmerzt. Aber sie hatte ihre Mutter nicht um eine Salbe gebeten, denn sie wollte die Erinnerung an die Berührung ihres Verlobten wachhalten.
Jetzt sang man überall Lieder von Sigfrids Taten, und die Blicke der Männer richteten sich mit großer Achtung auf Gudrun, wenn sie neben ihren Brüdern und ihrer Mutter in der Halle saß. Ja, die Männer verehrten und die Frauen beneideten Gudrun, denn sie war Sigfrids Verlobte. Nur manchmal glaubte sie, daß alle verstummten, wenn sie in Hörweite kam. Vielleicht war es jetzt noch Einbildung, aber bestimmt würde bald das Gerede darüber einsetzen, ob Sigfrid wirklich Gebikas Tochter zur Frau nahm, oder ob er wie Gunter seine Augen nach Süden richtete, um eine Römerin oder eine Frau der Goten zu heiraten.
Gudrun stand wieder auf. Sie legte das Leinentuch um die Schultern und trat ans Fenster. Sie glaubte, durch das gewellte Glas hindurch die drei Sterne von Frijas Spinnrocken zu sehen. Um Gudruns Hals hing ein Amulett. Ihre Mutter hatte es ihr geschenkt, als sie mit dem heiligen Ritus in den Kreis der
Frauen aufgenommen wurde. Es war ein goldener Falke, der eine Bernsteinscheibe in den Krallen hielt. Gudrun nahm das Amulett in beide Hände und blickte zu den Sternen auf. »Frowe Frija«, flüsterte sie, »ich weiß, du schützt das Gelöbnis von Mann und Frau. Bitte bring mir Sigfrid, meinen Verlobten.« Erschrocken stellte Gudrun fest, daß ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie hustete und richtete sich auf. Frija hatte bestimmt Besseres zu tun, als auf eine Jungfrau zu hören, der die seelische Kraft und Tugend fehlten, in Geduld den Lauf des Schicksals abzuwarten. Trotzdem sprach Gudrun weiter. »Die Eide sind geschworen und besiegelt, wir werden ein gutes Paar sein. Sigfrid ist der stärkste Mann am Rhein, aber mein Bruder Gunter ist der mächtigste König zwischen dem Norden und Süden. Frowe Frija, ich weiß, dein Gemahl liebt Zwietracht und Kampf, aber du bist die Mutter des Friedens. Laß nicht zu, daß der Frieden unserer Völker zerstört wird, den unsere Verlobung besiegelt hat. Ich glaube, wenn Gunter und Sigfrid sich als Feinde gegenüberstehen, dann wird man in Germanien noch viele Generationen lang an grausame Schlachten denken. Frowe Frija, ich habe dir bei allen Festen Opfer gebracht, bei allen Festen. Jetzt ist es nur gerecht... wenn Sigfrid seinen Eid hält.« Das Licht der Sterne war zu schwach, als daß Gudrun ein Zeichen hätte sehen können. Aber sie kehrte doch etwas erleichtert zu ihrem Bett zurück und schlief wieder ein.
Der Morgen brach hell und klar an. Ein kalter Wind wehte durch die knospenden Äste im Wald. Gudrun pflückte mit den anderen jungen Frauen Blumen für das Ostarafest. Blaue Veilchen lagen in ihrem Korb. Fridlind kam mit gelben Schlüsselblumen. Lachend steckten sie sich die Blüten gegenseitig ins Haar. Weiße Anemonen leuchteten wie Sterne im feuchten Gras. Die dunkelroten Knospen des Frauenschuhs
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