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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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öffneten sich an den langen Rispen. Aber diese Blumen pflückten sie nicht, denn sie wußten, sie waren giftig und konnten Menschen den Verstand rauben.
    »Da! Seht nur...«, flüsterte plötzlich eine der jungen Frauen und schob die langen blonden Haare aus dem Gesicht. Nicht weit vor ihnen stand zwischen zwei schwarzen hohen Eschen ein großer Hirsch mit stolz erhobenem Geweih. Die weißen Blüten des wilden Lauchs leuchteten um ihn herum in der Sonne. Das hellbraune Fell war von einem goldenen Schimmer überzogen. Die himmelblauen Augen des Hirschs richteten sich auf Gudrun. Sie konnte dem Blick nicht standhalten, aber auch nicht die Augen von ihm wenden. Sie glaubte, noch nie einen so schönen Hirsch gesehen zu haben. Er stand in der warmen Sonne, die ihm das Schattenspiel der Zweige wie ein Netz überwarf.
    Furchtlos lief Gudrun auf den Hirsch zu. Die Blumen fielen aus dem Korb. Aber nicht nur sie wollte zu ihm. Das blonde Mädchen folgte ihr und überholte sie. Aber der Hirsch drehte sich um, als das Mädchen ihn mit den Fingerspitzen berührte. Mit einem großen Satz sprang er über einen gefallenen Baumstamm und landete neben Gudrun. Zitternd legte sie dem Hirsch die Arme um den Hals und drückte ihn, so fest sie konnte, an sich. Sie erschauerte bei der Berührung, überließ sich ganz der warmen Kraft seines Leibs und spürte wie eine Liebkosung das seidig goldene Fell an ihrer Wange. Der Hirsch schien ihr das Liebste auf der Welt zu sein. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so glücklich gewesen. Aber dann gaben die Beine unter ihm nach. Gudrun war zwar stark, aber sie konnte ihn nicht halten. Er stürzte mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden. Sie kniete fassungslos neben ihm. Ein Pfeil mit einer Rabenfeder ragte aus dem Hirschleib. Neben ihnen stand die blonde Frau mit dem Bogen in der Hand. Ihr weißes Gewand war blutig, und über das von Wut verzerrte Gesicht flossen Tränen. Gudrun stand mühsam auf und wollte sich auf die Frau stürzen, aber Krimhild packte ihre Tochter und hielt sie mit ihren krallenartigen Fingern fest. Gudrun wollte sich mit all ihrer Kraft losreißen, aber es gelang ihr erst, als Krimhild sie lachend freigab. »Schau her«, sagte Krimhild, »ich habe ein anderes Spielzeug für dich«, und löste die Leine von einem großen grauen Hund, den sie am Ast einer Esche festgebunden hatte. Der Hund lief auf Gudrun zu, leckte ihr die Hand und drückte sich an sie, aber als er den Kopf hob, sah sie seine blutigen Zähne. Und als er sich schüttelte, fiel das Blut ihrer Brüder in heißen Tropfen auf sie.
    Gudrun erwachte mit einem gellenden Schrei. Sie saß kerzengerade im Bett und hielt das verschwitzte Laken fest. Im schwachen Licht einer Kerze sah sie die hagere Gestalt ihrer Mutter als dunklen Schatten vor der Wand.
    »Gudrun«, sagte Krimhild leise, »Gudrun, mein Kind, was fehlt dir? Ich habe gehört, wie du geschrien hast...«
    Die Königin kam zum Bett, stellt die Kerze auf Gudruns Tisch und legte ihrer Tochter die Arme um die Schultern. Sie strich ihr sanft über die verschwitzte Stirn und schob ihr die Haare aus dem Gesicht.
    »Ich habe geträumt«, murmelte Gudrun. »Es war nur ein Traum.« Sie versuchte, sich von Krimhild zu lösen, aber ihre Mutter ließ sie nicht los.
    »Erzähl mir den Traum, mein Kind. Du brauchst keine Angst zu haben. Die meisten Träume kündigen nur einen Sturm oder ein Unwetter an. Die Luft wird schwer und drückt auf das Herz.«
    »Es war kein Wetter-Traum«, erwiderte Gudrun, »ich habe von einem großen Falken geträumt, dessen braunes Gefieder golden schimmerte.« »Viele wissen von deiner Schönheit, Klugheit und deinem Adel«, sagte Krimhild besänftigend, »ein Königssohn wird bald kommen und um dich werben.«
    »Für mich gab es nichts Schöneres als diesen Falken. Ich hätte alles aufgegeben, nur nicht ihn. Dann habe ich von einem Hirsch geträumt. Er hatte ein goldbraunes Fell. Er war schöner und größer als alle Hirsche, und er kam freiwillig zu mir. Nichts schien mir wertvoller als dieser Hirsch.« Sie schwieg und wollte nicht weiter erzählen.
    »Du mußt dir keine Sorgen machen«, sagte Krimhild und zog die schmalen Lippen belustigt etwas nach unten, während sie ihrer Tochter über die Haare strich. »Du wirst bald den stärksten Helden heiraten, denn Sigfrid kommt und bringt dir Fafnirs Hort.«
    Gudrun blickte in die Dunkelheit und glaubte rote und blaue Funken um den gelben Schein der Kerzenflamme tanzen zu sehen. »Beide Träume

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